Im Hauch des Abendwindes
Morgenmantels verknotend, aus der Dunkelheit ins Licht der Autoscheinwerfer trat.
Ruby schwankte und konnte sich kaum noch auf den Beinen halten, so betrunken war sie. Das machte Myra wütend, sie hatte sich den ganzen Abend um die junge Frau gesorgt.
»Ich hab ja nur gefragt, Myra«, beschwichtigte Betty sie. »Ruby hat ein bisschen zu tief ins Glas geschaut, sie sollte sofort ins Bett gehen und sich richtig ausschlafen.«
»Ich kümmere mich schon um sie«, erwiderte Myra.
Sie warf Jacko einen finsteren Blick zu, weil er Ruby schamlos anstierte. Sie hatte die Schlafkoje im Wohnwagen bereits hergerichtet, fragte sich aber plötzlich, ob es klug war, die junge Frau hier draußen allein zu lassen. Sie überlegte, ob sie eine Kaninchenfalle vor der Wohnwagentür aufstellen sollte, entschied sich dann jedoch dagegen. Sie wollte nicht, dass Ruby womöglich hineintrat, wenn sie nachts aufstehen und zum Abort müsste.
»Komm ja nicht auf dumme Gedanken, Jacko!«, rief sie dem jungen Mann drohend zu. »Ich hab meine Winchester griffbereit.«
Da sie niemals ein Tier erschießen würde, hatte sie die Waffe nur mit Platzpatronen geladen, falls sie einmal eine Schlange aus dem Hühnerstall vertreiben musste. Aber das brauchte Jacko ja nicht zu wissen.
Jacko kratzte sich verlegen am Hinterkopf, erwiderte aber nichts. Er wusste, es war besser, sich nicht mit Myra anzulegen. Wortlos stieg er ein. Harold setzte sich ans Steuer, wendete und fuhr davon.
»Myra hätte sich wenigstens dafür bedanken können, dass wir das Mädchen nach Hause gebracht haben«, brummte Betty.
Am anderen Morgen war Ruby ziemlich verkatert.
»Ich war zwar nicht mehr ganz nüchtern gestern Abend, aber ich bin mir trotzdem sicher, dass mich die Leute angelogen haben«, sagte sie zu Myra, als diese ihr Rührei auf Toast und gesüßten schwarzen Tee zum Frühstück hinstellte. Ruby drehte sich bei dem Anblick fast der Magen um. »Bei meiner ersten Begegnung mit Jacko hat er nämlich nichts davon gesagt, dass Jed Monroe die Stadt verlassen habe, aber gestern Abend dann hat er es auf einmal behauptet, so wie alle anderen, die ich gefragt habe. Es klang, als hätte er den Satz auswendig gelernt. Hätte ich doch bloß nicht so viel getrunken«, stöhnte sie und hielt sich ihren pochenden Schädel. »Ich hätte sicher mehr aus ihm rausbekommen, wenn ich nicht so beschwipst gewesen wäre.«
»Ja, du hast scheinbar wirklich eine ganze Menge zu viel getrunken«, grummelte Myra. Sie war die halbe Nacht aufgeblieben und hatte Wache gehalten, nur für den Fall, dass einer der Männer auf die Idee kam, sich in den Wohnwagen zu schleichen. Das hob ihre Laune nicht gerade. Außerdem war sie sauer, weil sie die scharfe Munition für die Winchester, die sie sich für den Notfall gekauft hatte, nicht gefunden hatte.
»Ich wollte wirklich nicht so viel trinken, aber die Leute waren so nett, alle haben darauf bestanden, mir einen auszugeben.«
Myra zog die Brauen hoch. »Das haben die nicht aus Nettigkeit getan.«
Rubys Hirn fühlte sich zwar noch ein bisschen schwammig an, aber sie konnte nicht glauben, was Myra da andeutete. Was für einen Grund sollten die Leute gehabt haben, sie mit Alkohol abzufüllen? Sie wusste noch, wie aufmerksam und interessiert sie zugehört hatten, als sie praktisch ihr ganzes Leben vor ihnen ausgebreitet hatte. Jetzt, da sie wieder einigermaßen nüchtern war, war es ihr schrecklich peinlich.
Würde es Folgen haben, dass sie völlig fremden Menschen so viele persönliche Dinge anvertraut hatte?
Nach dem Frühstück bat Ruby Myra, sie zu Charlie Gillard zu begleiten. Sie wollte ihn fragen, ob sie in einem der leer stehenden Läden vorübergehend einen Frisiersalon eröffnen durfte, und hoffte auf Myras Unterstützung. Charlies Laden war geschlossen, was laut Myra völlig ungewöhnlich war. Um diese Zeit hatte er normalerweise schon längst geöffnet.
»Hoffentlich ist er nicht krank«, sorgte sie sich. Sie gingen zu seinem Haus, aber niemand antwortete auf ihr Klopfen und Rufen. Die beiden Frauen kehrten auf die Hauptstraße zurück. »Seltsam«, bemerkte Myra nach einer Weile. »Die Stadt wirkt wie ausgestorben.«
Ruby fand, dass das eine eigenartige Bemerkung war. »Woran erkennst du das?«
Myra sah sie verdutzt an. »Na, weil niemand zu sehen ist«, erwiderte sie, als sei das ja wohl klar.
Ruby war perplex, sagte aber nichts mehr, weil sie Myra nicht zu nahetreten wollte.
Als sie um die Ecke der Layard Street bogen, sahen sie
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