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Im Haus der Weisheit: Die arabischen Wissenschaften als Fundament unserer Kultur (German Edition)

Im Haus der Weisheit: Die arabischen Wissenschaften als Fundament unserer Kultur (German Edition)

Titel: Im Haus der Weisheit: Die arabischen Wissenschaften als Fundament unserer Kultur (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jim al-Khalili
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Beiträge geleistet haben. Deshalb ist es unvermeidlich, dass die vielen kleineren oder weniger wichtigen Fortschritte, die sich wahllos über Jahrhunderte der Wissenschaftsgeschichte verteilen, wie Blätter im Herbst auf einen hübschen Haufen gefegt werden, und obenauf sitzen jene überlebensgroßen Persönlichkeiten, denen man das Verdienst zuschreibt, ein Fachgebiet mit einem Schlag vorangebracht zu haben. Manchmal stimmt das voll und ganz – die Genialität eines Aristoteles, Newton, Darwin oder Einstein ist nicht zu leugnen. Oft bleiben dabei aber vergessene Genies und unbesungene Helden zurück.
    Besonders verlockend erscheint eine solche »grobkörnige« Vorgehensweise auf den ersten Blick in der Astronomie zu sein. Ptolemäus’ Almagest hatte als Höhepunkt des altgriechischen astronomischen Denkens so großen Einfluss, dass es einer allgemeinen Vorstellung zufolge nicht völlig verdrängt wurde, bis Kopernikus 1300 Jahre später sein Werk De revolutionibus verfasste. Dieses Werk kennzeichnete einen echten Paradigmenwechsel, wie er so dramatisch in der Menschheitsgeschichte nur wenige Male vorkam. Es war der Augenblick, in dem die Menschheit nicht mehr im Mittelpunkt des Universums stand, wie Ptolemäus es in seiner geozentrischen Kosmologie beschrieben hatte. Kopernikus zeigte, dass die Erde in Wirklichkeit um die Sonne kreist und nicht anders herum.

22.
Das heliozentrische Universum nach Kopernikus. An Stelle der Erde steht nun die Sonne im Mittelpunkt. Der Mond umkreist die Erde, wie es den Tatsachen entspricht, die äußersten Bahnen um die Sonne sind aber immer noch von den Sternen besetzt.
    Manch einer fragt sich vielleicht, ob er jetzt tatsächlich diese seit langem eingefahrene Vorstellung aufgeben soll. Wird selbst der großen kopernikanischen Revolution die Schande zuteil, dass sie in einer verborgenen Schuld der arabischen Astronomen steht, die als Erste zu solchen Vorstellungen gelangten? Die Geschichte der Astronomie, die zu Kopernikus hinführt, ist reichhaltig und kompliziert; sie hat es verdient, dass man sie sorgfältig analysiert. Wie überall in diesem Buch, so werde ich mich auch hier bemühen, sie so objektiv und deutlich wie möglich zu beschreiben, und ich überlasse es dem Leser, sich am Ende selbst die Frage – ja – nach einer unvermeidlichen, verborgenen Schuld zu stellen.
    *
    Sehen wir uns zunächst einmal an, warum die Astronomie eigentlich im Islam so wichtig war. Die Religion spielte für die islamische Astronomie des Mittelalters in zweifacher Hinsicht eine wichtige Rolle. Die erste liegt auf der Hand. Astronomie galt von Anfang an als Wissenschaft »im Dienst des Islam«. Sorgfältige astronomische Messungen konnten den Gläubigen zu Tabellen, Karten und Methoden verhelfen, die von entscheidender Bedeutung waren, um Gebetszeiten, Anfang und Ende des Fastenmonats Ramadan sowie die ungeheuer wichtige qibla (die Richtung nach Mekka für das Gebet) festzulegen. Dieser Zusammenhang erwies sich als nützlich für beide Seiten: Der Islam verschaffte der Astronomie eindeutig eine gesellschaftliche Legitimität, und die ersten Astronomen hatten damit eine Entschuldigung und Gelegenheit, um interessante wissenschaftliche Fragestellungen zu bearbeiten, die nicht zwangsläufig zu diesem »Dienst« gehörten. [188]
    Der zweite Aspekt, in dem der Islam eine wichtige Rolle spielte, war seine klare Unterscheidung zwischen der Astronomie als exakter Naturwissenschaft und dem Aberglauben, der sich mit der Astrologie verband; Letzterer galt als unmittelbare Bedrohung für die islamische Lehre, weil er den Sternen Kräfte zuschrieb, die Gott vorbehalten bleiben sollten. Deshalb trug er dazu bei, dass die Astronomie »metaphysisch neutral« wurde. [189] Man kann also feststellen, dass die Astrologie da, wo sie weiterhin betrieben wurde, einen Gegensatz zur exakten Wissenschaft der Astronomie als Teil der Naturphilosophie bildete. Trotz dieser Trennung konnten aber Angriffe auf Astronomie und Astronomen nicht ausbleiben, weil orthodox-religiöse Kreise sie nach wie vor mit den »alten Wissenschaften« der Griechen in Verbindung brachten und deshalb für unislamisch hielten.
    Dennoch blühte die Astronomie auf. Sie erschöpfte sich bei weitem nicht darin, die in griechischen Texten wie dem Almagest vorgefundenen Messungen zu wiederholen und zu überprüfen. Anfangs beschränkte sie sich wohl tatsächlich darauf, wobei al-Ma’muns Astronomen neue, verbesserte Sternenkarten und Tabellen

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