Im Haus der Weisheit: Die arabischen Wissenschaften als Fundament unserer Kultur (German Edition)
viel wichtigere strategische Lage hatte. Ein eigenständiges Machtzentrum entwickelte sich aber auch in Jerusalem, wo Mu’awiya aus der Sippe der Umayyaden, Uthmans Statthalter in Syrien, stetig an Macht und Einfluss gewann.
Eine fanatische Gruppe namens Khowarij warf Ali vor, dass er nicht ein für alle Mal mit Mu’awiya abgerechnet hatte. Die Mitglieder der Gruppe beschuldigten ihn sogar, er sei ein Feind des Islam, und ermordeten ihn im Jahr 661. Damit war die Herrschaft der Rashidun-Kalifen zu Ende. Während der nachfolgenden Unruhen übernahm Mu’awiya die Kontrolle über das Kalifat und verlegte die Hauptstadt des Reiches nach Damaskus. Damit begann die Zeit der Umayyadendynastie.
Die Umayyaden sicherten sich die Herrschaft über das islamische Großreich, das sich jetzt über eine gewaltige Fläche von Indien im Osten bis zum Atlantik im Westen erstreckte. Nach Mu’awiyas Tod setzte sich der Streit zwischen seinem Sohn Yazid und Hussein, dem Sohn des Kalifen Ali (und Enkel des Propheten), fort. Am Ufer des Euphrat, nicht weit von der Ortschaft Kerbala, kam es 680 schließlich zu einem blutigen Gemetzel, in dessen Verlauf Hussein von einem Soldaten der Umayyadenarmee enthauptet wurde. Das Datum seines Märtyrertodes, der 10. des muslimischen Mondmonats Muharram, wird als ’ashura (von ashara , dem arabischen Wort für »zehn«) bezeichnet und ist für alle Schiiten ein wichtiger Trauertag.
Eines kann man mit Sicherheit über die Umayyaden sagen: Sie waren Pragmatiker. Durch die anfänglich sehr schnellen Eroberungen des Kalifen Umar hatten sie die hochentwickelte administrative und finanzielle Infrastruktur der Perser und Byzantiner übernommen. Vieles davon ließen sie unverändert, abgesehen natürlich davon, dass die arabische Sprache in beiden Reichen an die Stelle des Pachlewi (Persisch) und des Griechischen trat – ein Wechsel, der einige Zeit in Anspruch nahm. Die Steuern und der wachsende Handel trugen zur Stärkung der Kalifen bei, die auf diese Weise reich und mächtig wurden.
Der einflussreichste unter den Umayyaden war Abd al-Malik, der von 685 bis 705 herrschte, also insgesamt 20 Jahre. Während dieser Zeit sorgte er für eine Neuorganisation und Stärkung der staatlichen Verwaltung, und unter seiner Hoheit erweiterte sich das Reich mit der stetigen Islamisierung Asiens und Nordafrikas noch weiter. Er war ein hervorragender Politiker, aber auch ein mächtiger und autoritärer Herrscher. Die traditionelle Methode, sich Ratschläge von einem Beraterkreis geben zu lassen, gab er auf; stattdessen behielt er sich alle wichtigen Entscheidungen selbst vor. Er konnte zu seinen Feinden auch sehr grausam sein, wenn es nötig war – und das war offenbar recht oft der Fall.
Im Inneren musste sich Abd al-Malik mit dem Widerstand verschiedener Gruppen auseinandersetzen, die sich gegen die Herrschaft der Umayyaden stellten. Er brauchte viele Jahre, um im Norden Syriens, im Irak, in Persien und Arabien alle Aufstände und Revolten niederzuschlagen. In Anatolien führte er 692 einen Feldzug gegen die Byzantiner, und im weiteren Verlauf eroberte er Nordafrika, wo er sowohl die dort ansässigen Berber als auch die Byzantiner besiegen musste. Einen wichtigen Sieg errang er 697, als seine Armee Karthago einnahm, eine der wichtigsten Städte an der nordafrikanischen Küste.
Im Gegensatz zu seiner Kriegslüsternheit stand, dass Abd al-Malik auch viel frommer war als seine Vorgänger unter den Umayyaden. Am bekanntesten ist er heute vermutlich, weil er während der ersten Jahre seiner Herrschaft in Jerusalem den Felsendom errichten ließ, das älteste noch erhaltene Baudenkmal des Islam. Der Felsen, auf dem dieses Gotteshaus steht, ist bis heute sowohl den Muslimen als auch den Juden heilig.
Im letzten Jahrzehnt des 7. Jahrhunderts traf er die kühne Entscheidung, in allen seinen Besitzungen eine gemeinsame Währung einzuführen. Zwischen 693 und 697 gründete er die erste königlich-islamische Münze; die Vorbilder für die neuen Münzen bezog er von Griechen und Persern, wobei aber die traditionellen Bilder von Königen durch arabische Inschriften aus dem Koran ersetzt wurden. Abd al-Malik beauftragte muslimische Alchemisten, mit den besten Materialien für die neuen Münzen zu experimentieren; diese bestanden vorwiegend aus Gold, Silber, Kupfer und Legierungen aus diesen und anderen Metallen.
Von der Alchemie abgesehen, ließen die Umayyaden wenig Interesse an Naturwissenschaften erkennen. Neben ihrer
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