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Im Haus der Weisheit: Die arabischen Wissenschaften als Fundament unserer Kultur (German Edition)

Im Haus der Weisheit: Die arabischen Wissenschaften als Fundament unserer Kultur (German Edition)

Titel: Im Haus der Weisheit: Die arabischen Wissenschaften als Fundament unserer Kultur (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jim al-Khalili
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wie sie von Thomas von Aquin, Descartes und anderen entwickelt wurde. Dass sein Name in modernen Darstellungen der Philosophiegeschichte nicht häufiger genannt wird, ist eine Schande.
    Damit können wir nun endlich die Zeit al-Ma’muns hinter uns lassen. Viele von ihm angeworbene Gelehrte überlebten ihn und verfolgten seine Träume weiter. Dank al-Ma’mun war der Samen gelegt, und selbst das Dahinschwinden des Mu’tazilismus konnte das rasche Aufblühen der Wissenschaft im Großreich nicht mehr aufhalten. Die Leidenschaft, die Welt zu verstehen, verbreitete sich sowohl in Bagdad als auch anderswo immer weiter. Mit dem Tod von al-Kindi und al-Khwarizmi begann eine neue Epoche. Der wissenschaftliche Fortschritt gewann in der islamischen Welt an Tempo, und neue Helden erschienen auf der Bildfläche. Am Ende des 9. und Anfang des 10. Jahrhunderts stand Bagdad unter dem Eindruck eines Mannes, der ohne Zweifel der größte Arzt der mittelalterlichen Welt war. Im Westen ist er unter dem Namen Rhazes bekannt.

10
    Der Arzt
Der Arzt muss der Kraft des Patienten, der Angelegenheit der Krankheit und ihrer Dauer Aufmerksamkeit schenken; wenn nämlich die Kraft gering ist, aber die Angelegenheit der Krankheit zahlreich und die Dauer lang, sollte man dem Patienten von Anfang an etwas anbieten, was die Stärke erhält, während es die Angelegenheit der Krankheit nicht verstärkt – und dafür gibt es nichts Geeigneteres als die richtige Menge Hühnerbrühe.
Ya’qub ibn Ishaq, [122] ›Abhandlung über die Fehler der Ärzte von Damaskus‹
    Wir hatten ihn immer nur »Jiddu« genannt. Er starb, als ich sechs Jahre alt war. Ich kann mich noch gut an seinen Stoppelbart, das Stethoskop und seinen sanften, freundlichen Blick erinnern – und an die Bücher, so viele Bücher. Jiddu war mein Großvater väterlicherseits und wohnte in Najaf. Unsere Familienausflüge von Bagdad zu meinen Großeltern waren die einzigen Gelegenheiten, bei denen meine Mutter eine abaya anziehen musste, jene Ganzkörperbedeckung, die Frauen im Mittleren Osten tragen. Sie war in den heiligen Städten Najaf und Kerbala sogar für Europäerinnen wie meine Mutter vorgeschrieben.
    Wenn ich heute an Jiddu zurückdenke, so passt er nahtlos in das Bild der großen Gelehrten aus der Abassidenzeit vor 1000 Jahren. Die meisten Bilder von großen islamischen Wissenschaftlern, die man heute findet, sind stilisierte, artifizielle Darstellungen, die von Europäern im 19. Jahrhundert angefertigt wurden, und alle sind völlige Phantasieprodukte. Die einzigen Kriterien waren offenbar, dass die Gestalten einen Turban, einen Bart (in unterschiedlicher Schattierung und Länge) sowie ein fließendes Gewand tragen und mit einem Buch auf einem Teppich sitzen mussten. Genauso habe ich meinen Großvater in Erinnerung (siehe Farbtafel 4). Und er sah nicht nur so aus, sondern er war auch in jeder Hinsicht selbst ein Gelehrter: hochintelligent, weise und belesen. Zuallererst war er Schriftsteller und Dichter, und als solcher genoss er im Irak ein gewisses Ansehen. Er war aber im Ort auch der »weise Mann« und Apotheker für den Distrikt Najaf – daher das Stethoskop. Ich erinnere mich noch gut an seine Bibliothek, einen Raum in der oberen Etage seines Hauses, das nach seinem Tod unverändert belassen wurde. Im Laufe der Jahre saß ich oft längere Zeit dort und studierte seine Bücher. Um ehrlich zu sein, fand ich nie etwas, das mir so lesenswert erschien wie andere Dinge, die mir zu jener Zeit wichtig waren, ob es nun Just William oder The Famous Five war oder auch das neueste Shoot -Fußballmagazin, das meine Großeltern mütterlicherseits mir aus England geschickt hatten.

4.
Der Dichter und Schriftsteller Merza Muhammad Sadiq al-Khalili, Großvater väterlicherseits des Autors ( Jiddu ).
    Leider wurde die Bibliothek zerstört. Jiddus Haus lag im Zentrum von Najaf, nur zwei Fußminuten von der sagenumwobenen Imam-Ali-Moschee mit ihrer goldenen Kuppel entfernt. Es war (jedenfalls für mich persönlich – wenn auch in kleinerem Maßstab) eine faszinierende Parallele zum Schicksal der Bibliothek im Haus der Weisheit von Bagdad, die 1258 von den Mongolen vernichtet wurde: Anfang der 1990er Jahre ließ Saddam Hussein die Bibliothek im »Haus von Jiddu« zerstören – damals, nach den schiitischen Aufständen im März 1991, wurde das ganze Stadtviertel von den Republikanischen Garden mit Bulldozern dem Erdboden gleichgemacht.
    War mein Großvater ein typisches Beispiel für den Typ

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