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Im Haus der Weisheit: Die arabischen Wissenschaften als Fundament unserer Kultur (German Edition)

Im Haus der Weisheit: Die arabischen Wissenschaften als Fundament unserer Kultur (German Edition)

Titel: Im Haus der Weisheit: Die arabischen Wissenschaften als Fundament unserer Kultur (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jim al-Khalili
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Jahrhundert, nachwies, dass das Blut durch einen Kreislauf fließt, wobei das Herz als Pumpe fungiert. Galen entwickelte auch zahlreiche Experimente zur Verknüpfung von Nerven und untermauerte damit Platons Idee, wonach das Gehirn (und nicht das Herz, wie Aristoteles glaubte) die Kommandozentrale des Körpers ist und sämtliche Muskeln steuert. Noch im 19. Jahrhundert wurden Medizinstudenten auf manche Gedanken von Galen verwiesen – so dauerhaft war sein Einfluss in der Medizin.
    Die Ärzte im islamischen Reich waren sich aber sehr genau bewusst, dass die griechische Medizin nur eine von mehreren Quellen für medizinische Kenntnisse war. Zunächst einmal legt der Islam viel Wert auf Reinlichkeit und körperliche Hygiene; von jedem Muslim wird verlangt, dass er vor dem Gebet die wudu’ vornimmt, die rituelle Waschung von Händen, Füßen und Gesicht. Zu einer Zeit, als man im christlichen Abendland auf Magie versessen war und Krankheiten entweder als göttliche Strafen für Sünden oder – noch schlimmer – als Besessenheit durch böse Geister deutete, hielten sich die Ärzte in der muslimischen Welt an die griechische Tradition: Sie bemühten sich darum, Krankheiten wissenschaftlich zu verstehen und rationale Wege zu ihrer Behandlung zu finden. Und das ist noch nicht alles: Den Körper gesund zu erhalten und Kranke zu pflegen galt jetzt als religiöse Pflicht. Natürlich muss man aber darauf achten, den Kontrast zwischen den Denkweisen in Ost und West nicht zu übertreiben: Vorstellungen von Magie und Dämonen gab es auch in der islamischen Welt.
    In dieses Umfeld trat al-Razi. Er ist uns zuvor bereits als Chemiker begegnet, der die Klassifikation der chemischen Substanzen weiter vorantrieb als alle anderen vor ihm; er verbesserte die griechische Theorie der vier Elemente, in dem er Substanzen nach ihren chemischen Eigenschaften einteilte, die er aus Laborexperimenten abgeleitet hatte. Wie al-Kindi eine Generation vor ihm, so war auch al-Razi ein Universalgelehrter, der als Philosoph und Musiker ebenfalls Hervorragendes leistete. Aber seine Leistungen in einem breiten Spektrum verschiedener Fachgebiete verblassen bis zur Bedeutungslosigkeit im Vergleich zu seinen medizinischen Arbeiten. Hier waren sein Ruhm und seine bleibende Wirkung ebenso groß wie die von Galen, und seine Errungenschaften waren sogar größer als die des Arztes Ibn Sina, jenes berühmtesten Gelehrten des Islam, der ein Jahrhundert später lebte.
    Al-Razi wurde um 854 in Rayy geboren. Von dieser antiken Stadt ist heute kaum noch etwas übrig; das moderne Rayy ist nicht mehr als eine dichtbevölkerte Vorstadt der Riesenmetropole Teheran. In seiner Jugend studierte al-Razi alle Fachgebiete, deren Grundkenntnis man zu jener Zeit bei einem intelligenten jungen Mann erwartet hätte, darunter Literatur, Philosophie, Mathematik, Astronomie und Musik. Er schrieb über ein breites Spektrum einschlägiger Themen, die meisten dieser Werke sind aber leider verlorengegangen. Dagegen haben viele seiner wichtigsten medizinischen Texte glücklicherweise sowohl auf Arabisch als auch auf Latein überlebt, und sie wurden im Mittelalter neben denen von Galen in ganz Europa in großem Umfang genutzt.
    Er war ein besessener Gelehrter und verschlang alle Bücher, deren er habhaft werden konnte. Tragisch war, dass er im höheren Alter langsam erblindete, was manchen Berichten zufolge auf einen Katarakt (grauer Star) zurückzuführen war. Anderen Behauptungen zufolge lag es an Langzeitschäden durch die Dämpfe giftiger Chemikalien, mit denen er in jungen Jahren als Chemiker experimentiert hatte. Eine ganz andere Ursache seiner Erblindung legt ein Bericht nahe, der im Fihrist von Ibn al-Nadim auftaucht. Er stammt aus einer anonymen Quelle und beschreibt regelmäßige Besuche des Autors bei al-Razi in Rayy: »Ich ging nicht zu ihm hinein, ohne ihn beim Lesen oder Abschreiben zu finden, ob er nun einen Rohentwurf oder einen überarbeiteten Text herstellte. Er hatte feuchte Augen von den vielen Bohnen, die er stets aß, und wurde deswegen am Ende seines Lebens blind.« [124]
    Den Berichten zufolge nahm al-Razi das Medizinstudium nach seinem ersten Besuch in Bagdad im Alter von rund 30 Jahren auf. Er studierte dort bei dem bekannten Arzt Ali ibn Sahl, einem zum Islam konvertierten Juden, dessen Vater die erste arabische Übersetzung des Almagest angefertigt hatte. Schon bald übertraf al-Razi alle seine Lehrer, und sein Ruf als angesehenster Mediziner der Welt festigte

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