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Im Haus meines Feindes

Im Haus meines Feindes

Titel: Im Haus meines Feindes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brown Sandra
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schwamm sofort zum Steg zurück und zog Remy Duvall hinter sich her. Sie hatte sich nicht bewegt oder sich gegen seinen Lebensrettungsversuch gewehrt, wie es Ertrinkende oft taten. Er fürchtete sich davor, den Grund dafür zu erfahren. Trotzdem zwang er sich, einen Blick in Remys Gesicht zu werfen. Unter dem Schlamm war es still und leichenblaß.
    Als er den Steg erreichte, ergab sich das nächste Problem: Wie sollte er hinaufklettern und gleichzeitig Remy festhalten? Jetzt zählte jede Sekunde. Sie ruhte schlaff in seiner linken Armbeuge. Wie lange hatte sie schon keinen Sauerstoff mehr bekommen?
    Die Verzweiflung gab ihm die Kraft, nach oben zu greifen und mit der rechten Hand eine der Klampen zu umfassen. Er bemühte sich zweimal vergeblich, sich so weit hochzuziehen, daß er sein rechtes Bein auf den Steg schieben konnte. Als er beim dritten Versuch das Bein nach oben schwang, grub sich sein Schuhabsatz in die Planke, und er blieb sekundenlang in dieser Stellung, während er versuchte, Kraft zu sammeln und seine Muskeln dazu zu überreden, das zu tun, was er von ihnen fordern würde.
    Mit fast übermenschlicher Anstrengung gelang es ihm, sein rechtes Bein über den Steg zu schieben, bis es ebenfalls mithelfen konnte, seinen Körper hochzuziehen. Mit Hand und Ellbogen, Fuß und Knie gelang es ihm schließlich, sich über den Rand des Stegs zu wälzen. Als sein Bauch die Planken berührte, stieß er vor Erleichterung fast ein Lachen aus.
    Er zob Remy Duvall zu sich hoch und streckte sie auf dem Steg aus. Haarsträhnen klebten an ihren Lippen. Er strich ihr die Haare aus dem Gesicht und begann sofort mit einer Wiederbelebung. Drücken, drücken, drücken, Pause, Eins, zwei, drei, Pause. Nasenlöcher zuhalten, in den Mund atmen. Drükken, drücken, drücken, Pause.
    Wie lange war sie ohne Sauerstoff gewesen? Sie war keine
zwanzig Sekunden unter Wasser gewesen, als er hineingesprungen war. Okay, vielleicht dreißig. Dazu kamen die fünfundvierzig Sekunden, vielleicht mehr, die er gebraucht hatte, um zu dem Boot zu schwimmen. Und bestimmt eine Minute unter Wasser. Das ergab welche Gesamtzeit?
    Drücken, drücken, drücken, Pause. Drücken, drücken …
    Sie hustete Wasser aus. Er legte ihr eine Hand unter die Wange und drehte ihren Kopf zur Seite, damit sie nicht an dem Wasser erstickte, das sie hervorwürgte. Mehrere Minuten verstrichen, bis ihre Atmung sich normalisierte und die Blaufärbung ihrer Lippen allmählich verschwand.
    Als sie dann die Augen aufschlug, hatte sie ihn direkt vor sich. Sie konnte es unmöglich vermeiden, ihn anzusehen; er konnte es unmöglich vermeiden, den Vorwurf in ihrem Blick zu lesen. »Tut mir leid. Ich habe Ihnen nicht geglaubt. Ich habe gedacht, das sei ein Trick.« Weil ihm nichts einfiel, was er sonst hätte sagen können, wiederholte er: »Tut mir leid.«
    Er rappelte sich müde auf und blickte übers dunkle Wasser hinaus. Da das Boot gekentert war, schwamm es noch. Wenn er es nicht zurückholte, waren sie hier abgeschnitten. Er wußte, daß er sofort etwas unternehmen mußte, bevor völlige Erschöpfung einsetzte und ihn bewegungsunfähig machte. Also hechtete er zum zweitenmal ins Wasser.
    Â 
    In ihren Adern floß nicht gerade die Milch der frommen Denkungsart, aber immerhin hatten sie ihn nicht umgebracht. Noch nicht.
    Gregory gab sich größte Mühe, harmlos zu wirken, was ganz leicht war, weil er nicht nur harmlos, sondern völlig hilflos war. Außerdem bezweifelte er, daß der Leibhaftige persönlich diese Leute hätte einschüchtern können. Wenn sie ihm die Kehle durchschnitten, dann nur zur Unterhaltung, nicht aus einem Gefühl der Bedrohung heraus.
    Was Gregory persönlich betraf, zitterte er innerlich vor Entsetzen.
Wahrscheinlich konnten sie seine Angst trotz des verlockend duftenden Okraeintopfes, der auf dem Herd brodelte, sogar riechen. Die Hausherrin brachte Gregory einen Teller davon, den sie mürrisch vor ihm auf den Tisch knallte.
    Sie war keineswegs freundlicher als die zwei Mannsbilder – ihr Ehemann und ihr minderjähriger Sohn, vermutete Gregory  –, die ihn buchstäblich durch den Wald zu diesem Haus geschleift hatten, wo die Frau und zwei jüngere Mädchen ihn mißtrauisch begutachtet hatten. Er hatte das Gefühl, ihnen dafür dankbar sein zu müssen, daß sie ihn gerettet hatten,

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