Im Herzen der Feuersonne
erhaschte einen kurzen
Blick auf ihre langen Wimpern und auf die zarte Rundung ihrer Wangen, als sie
neben ihm auf dem Bock Platz genommen hatte. Sina war eine ungewöhnlich schöne
Frau, daran konnte nicht einmal ihr erbärmlicher Aufzug etwas ändern. Trotz der
zerfetzten Bluse, die sie zu dem langen, verschlissenen gelb-roten Rock trug,
war ihre Haltung stolz. Aber ihre Augen hatten einen melancholischen Ausdruck,
der stumm von vergangenem Leid erzählte. Ben fühlte Mitleid mit ihr in sich
aufsteigen.
»Wenn wir am Hafen die Reben aufgeladen haben,
fahren wir in Richtung Nordosten«, sagte er, um seine Beklemmung abzustreifen.
»Kannst du lesen?«
Sie schüttelte den Kopf. »Lesen â nein.«
»Aber du sprichst Englisch. Beherrschst du auch
die Sprache der Buren?«
»Nicht richtig«, antwortete sie.
»Und wer hat dir Englisch beigebracht?«
Sina zuckte mit den Schultern und senkte den
Blick. »Mein letzter Herr. Ich hab seine Kinder versorgt. Viel gelernt. Kochen
und backen, aber nicht lesen.«
»Macht nichts. Vielleicht kann ich es dir
beibringen, wenn Zeit dazu ist.« Er schnalzte mit der Zunge, und die Pferde
setzten sich wieder in Bewegung.
Während der Fahrt zum Anlegeplatz der Parisienne sprachen sie nicht. Sina hielt den Kopf
gesenkt. Der kleine Will presste sich an sie, und Ben ahnte, dass er es in
seinem kurzen Leben bereits gelernt hatte, sich still zu verhalten. Es war
sicher besser für einen Sklavenjungen, sich so unsichtbar zu machen wie
möglich.
Der Frachtsegler dümpelte an seinem Anlegeplatz
unruhig hin und her. Immer wieder brachen sich einige hohe Wellen an den
Planken, die Gischt spritzte den zwei Matrosen, die an Deck Wache hielten, ins
Gesicht.
Henry Gardener, der nun zu ihnen trat, zeigte zu
den immer schneller dahinziehenden Wolken hinauf und rief einige Worte, die ihm
der Wind von den Lippen riss, so dass Ben sie nur undeutlich verstand.
Vermutlich war der Zweite Offizier besorgt, dass die Vertäuung des Schiffes bei
einem Sturm nicht ausreichen würde. Ben wusste, dass ein früheres Schiff
Gardeners, die Lady Belle , vor einigen Jahren in
diesem Hafen gesunken war.
»Kann ich an Bord kommen?«, rief er dem Zweiten
zu und sprang vom Kutschbock.
Der winkte nur auffordernd. Und als Ben neben ihm
an der Reling stand, meinte er knapp: »Gut, dass du dein Grünzeug von Bord
holst, wir brauchen den Platz bald. Der Käptân verhandelt gerade wegen einer
neuen Ladung.«
»Aye, aye, Sir.« Ben verbeugte sich, dann hastete
er in den Laderaum und lud sich die ersten zwei Säcke mit den Rebstöcken auf.
Als er damit beim Fuhrwerk ankam, sprang Sina auf und half beim Aufladen.
»Soll ich mit dir kommen? Dann geht es
schneller«, fragte sie, doch Ben wehrte fast entsetzt ab.
»Bloà nicht! Weiber an Bord, das bringt
Unglück.«
Eingeschüchtert blieb sie neben den Pferden
stehen und wartete, bis Ben die nächsten Rebstöcke abgeladen hatte. Die
knorrigen Stämme, die schon keine Blätter mehr trugen, lagen, jeweils zu fünft
zusammengebunden, in alten Jutesäcken. So hatte Ben sie schon vor Tagen
zurechtgelegt, damit das Entladen rascher vonstattengehen konnte.
André, einer der Matrosen, rief Ben zu: »Hast du
dir schon in den ersten Stunden ein Liebchen angelacht? Alle Achtung, du
vergeudest keine Zeit!« Grölendes Gelächter folgte.
Der junge Winzer zuckte nur mit den Schultern.
Der Wind wurde noch stärker, es galt, so rasch wie möglich von hier
fortzukommen.
***
Â
Kurze Zeit später verlieÃen sie die
Hafengegend, in der es nach Teer, nach brackigem Salzwasser und nach Fisch roch.
Ben dachte an die letzten Hafenstädte, in denen er gewesen war. In Brest war es
sauberer gewesen, in Hamburg auch. Doch auch in Marseille und Genua hatten die
Ratten die StraÃen und Gassen beherrscht. Ben hatte gelesen, dass es in vielen
Städten schon richtige Abwasserkanäle gab, anders, als es in Simonâs Town der
Fall war.
Etwa eine Stunde später lagen die Häuser von
Simonâs Town hinter ihnen. Der Wind und die Hufe der Pferde wirbelten den Staub
des von unzähligen Fuhrwerken ausgefahrenen Weges auf. Der Weg führte durch
sanfte Hügel, auf denen verschiedene Büsche und Pflanzen wuchsen, die Ben nicht
kannte. Er sah aber auch einige kleine Eichenwälder, dazwischen wildwuchernde
Palmen und Kakteen, in denen unzählige
Weitere Kostenlose Bücher