Im Herzen der Feuersonne
deine Tante genau an. Aber erst einmal deinen Papa.«
Und schon legte sie dem verdutzten Ben den Säugling in den Arm.
Unsicher schaute der Mann in das rote, leicht
schrumpelige Gesichtchen. Der kleine Mund war wie zum Weinen verzogen. Als der
Kleine dann die Augen zusammenkniff und gähnte, lächelte Ben. »Na, du musst
nicht gleich gelangweilt sein, wenn du deinen Vater siehst«, meinte er.
»So eine Geburt ist auch für das Kind
anstrengend«, belehrte Helene Kreuvert ihn. Sie küsste Charlotte auf die Stirn.
»Ruht euch aus, ihr beiden. Ben und ich gehen hinunter und trinken einen Schluck
auf das Wohl des neuen Erdenbürgers.«
Helene und Ben verlieÃen das Zimmer und gingen
hinunter in die groÃe Wohnstube. »Wir zwei trinken erst einmal einen besonderen
Tropfen«, bestimmte die Tante. »Hier, die Flasche hab ich mitgebracht.« Es war
ein exzellenter Wein aus Frankreich, eine Rarität, die Ben mit Genuss
kostete.
Helene legte ihre Hand auf seinen Arm. »Ich
wünsche euch alles Glück der Welt, mein Junge«, sagte sie. »Du sollst mit deiner
Familie in diesem Haus nur schöne Stunden verleben.« Sie trank ihm zu. »Und
jetzt sollten wir nach drauÃen gehen und mit den Leuten auf das Wohl des kleinen
Karl trinken«, sagte sie dann.
»Karl?« Ben runzelte die Stirn. »Wir hatten noch
gar keinen Namen festgelegt.«
»Dann darf ich es tun. Karl ⦠nennt ihn Karl,
meinen Patensohn.« Sie gab keine Erklärung, warum sie diesen Namen ausgesucht
hatte. »Los, komm, die Leute warten sicher schon.« Sie winkte dem Hausmädchen
Josy, einem kleinen schwarzhäutigen Ding von fünfzehn Jahren. »Lass Wein in den
Hof bringen. Ich hab Brot, Fleisch und Kuchen in der Kutsche â die drei Körbe
kannst du dann auch holen.«
Josy beeilte sich, dem Befehl nachzukommen. Will
kam angelaufen. Er war barfuÃ, trug eine kurze braune Hose und ein gelbes Hemd
aus dünnem Leinen.
»Ist es da?«, fragte Will atemlos. »Euer Kind,
meine ich?«
»Ja.« Ben lachte ihn an und strich ihm über das
krause Haar. »Es ist ein Junge â und er heiÃt Karl.«
»Toll. Kann ich mit ihm spielen?«
»Nein, noch nicht. Du weiÃt doch, wie klein
neugeborene Kinder sind. Später aber ganz bestimmt.«
»Ich kann ihm zeigen, wie man Pferde striegelt.
Und Käfer in den Reben sucht. Und wie man die Kaninchen füttert und die Hühner
und â¦Â«
»Ja, später.«
»Ich kann ihm vorlesen! Es geht schon ganz gut!«
Stolz sah er zu Helene auf. Sie hatte ihm kürzlich ein paar Kinderbücher
geschenkt, und Will war unendlich stolz darauf, dass er sie schon ganz allein
lesen konnte. Seit Charlotte auf Hopeland wohnte,
hatte sie sich um den aufgeweckten Jungen gekümmert. Da er keine Schule besuchen
konnte, gab sie ihm Unterricht. Und Will saugte begierig alles auf, was es Neues
zu lernen gab. Er las und rechnete besser als mancher weiÃe Junge, der seit drei
Jahren in Kapstadt die Schule besuchen konnte.
Charlotte freute sich immer wieder über die
Fortschritte des Buben â und seine nie nachlassende Wissbegierde. »Ich werde mal
Kellermeister auf Hopeland «, hatte er vor einigen
Wochen ganz ernst erklärt. »Dann darf mir keiner mehr sagen, was ich zu tun
habe.«
»Und deine Mutter?«, hatte Charlotte lächelnd
gefragt.
»Mom darf alles sagen â und Ihr, Missis, und
Mister Ruhland auch.«
Seit er gröÃer war, nannte er Ben nicht mehr beim
Vornamen und »du«, sondern »Mister Ben« â so wie er es bei den anderen
Gutsarbeitern hörte.
»Wann darf ich den Kleinen sehen?«, wollte er
jetzt wissen.
»Morgen. Erst einmal müssen Mutter und Kind sich
ausruhen«, erklärte Helene Kreuvert entschieden und ging zurück in Charlottes
Schlafraum.
Wenig später klopfte es kurz, die Tür ging auf,
und Willem de Havelbeer steckte den weiÃhaarigen Kopf herein, in der Hand eine
groÃe, mit einer schimmernden Schleife verzierte Schachtel, dazu einen StrauÃ
vielfarbiger Rosen.
»Darf ich hereinkommen?« Seine Stimme klang
ungewöhnlich sanft.
»Willem!«, rief Helene, die von ihrem Stuhl neben
der Wiege aufgesprungen war.
»Papa!« Charlotte richtete sich in den Kissen
auf, und Ben ging seinem Schwiegervater einige Schritte entgegen. Doch Willem
sah ihn zunächst gar nicht. Er ging zu Charlotte, lieà die
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