Im Herzen der Koralleninsel: Ein Südseeroman (German Edition)
aber bald schon führte ihr Weg wieder nach oben, Klippen und bewaldete Abhänge empor, zwischen denen der Fluss tief ins Tal schnitt. Noah hoffte, dass sie schon an einem Nebenlauf des Ramu waren.
Der Hunger machte ihnen zu schaffen. Ein paar kümmerliche Wurzeln und einige Larven, die Noah unter der Rinde eines Baumes hervorgeholt hatte, mehr gab es nicht. Isabel hatte tatsächlich tapfer zwei gebratene Larven hinuntergewürgt. Er hatte entschieden, dass er es wagen konnte, ein Feuer zu machen, denn inzwischen waren sie weit genug von Simbang entfernt, und ein Suchtrupp wäre ihnen sicher nicht bis hier gefolgt. Das Feuermachen blieb eine schweißtreibende und unerquickliche Angelegenheit – wenn auch nur so lange, bis Isabel ihm einen kleinen silbernen Behälter hingehalten hatte. Conrads Streichholzdose.
»Damit geht es leichter«, hatte sie lächelnd gesagt.
Jetzt blieb Noah stehen und hielt eine lange Ranke zur Seite. Isabel schaute zu ihm auf und senkte dann schnell wieder den Blick.
Er sah ihr hinterher. Er war sich seiner Wirkung auf das andere Geschlecht immer sicher gewesen. Nur aus ihr wurde er nicht klug. Mit keinem Wort hatte sie erwähnt, was gestern vorgefallen war.
Sie hatte den Kuss erwidert. Und dann hatte sie ihn abgewehrt.
Er war zu weit gegangen. Bislang hatte er sich einreden können, nichts für sie zu empfinden außer einer gewissen körperlichen Anziehung. Aber als sie plötzlich unter ihm gelegen hatte, so schön und wehrhaft und verzweifelt um das Leben des Baumkängurus kämpfend, da hatte er seine Gefühle einfach nicht mehr zurückhalten können.
So etwas hatte er noch bei keiner anderen Frau empfunden. Er wunderte sich über sich selbst, wie wichtig sie ihm geworden war. Er wollte sie halten, wenn sie traurig war, wollte ihr Bein massieren, wenn es nach dem Laufen schmerzte, wollte mit ihr lachen und mit ihr einschlafen.
Doch daran durfte er jetzt nicht denken. Vielmehr musste er zusehen, sie so schnell wie möglich loszuwerden und endlich an ein Kanu zu kommen, um zu den Kandangai am Kaiserin-Augusta-Fluss zu gelangen.
Dort war er Asemou gewesen. Asemou, der Namenlose . Ob sie ihn wieder so nennen würden?
Die Vorstellung, sich erneut in die Stammesgemeinschaft einzugliedern, nachdem er fünf Jahre unter Weißen gelebt hatte, fiel ihm schwer. Aber zumindest für die erste Zeit brauchte er einen Platz zum Untertauchen, fernab von den Siedlungen der Europäer. Fernab von dort, wo man ihn wegen des Mordes an Konings suchte.
Wenn er nur wüsste, was in dieser Nacht, in der er sich so heillos betrunken hatte, vorgefallen war.
Sie sprechen eine fantastische Deutsch. Sie sind keine von die Jabim?
Konings’ Worte mit dem grässlichen holländischen Akzent drängten sich wieder in seinen Kopf. Er musste nur daran denken, und schon spürte er, wie sich etwas in ihm aufbaute. Eine Mischung aus grenzenloser Wut, Hilflosigkeit und Angst. Ein Gefühl, das ihn zurückfallen ließ in eine Zeit, die er vergessen hatte.
Ein erstickter Schrei, ein zuckender, hilfloser Körper. Ein rotbärtiges Gesicht, das sich ihm zuwendet, den Mund vor Angst aufgerissen.
Das war nicht Konings! Konings war zwar auch rothaarig gewesen, aber er hatte keinen Bart getragen.
Ich werde dir an die Hunden verfüttern!
Der widerliche Geruch alkoholgeschwängerten Atems.
Das Weinen einer Frau. Ihre Stimme, die weit entfernt nach ihm rief. Und dann plötzlich abbrach.
Jeroen …!
War das tatsächlich sein Name gewesen?
Wat hebt u met mama gedaan? Er wollte nicht daran denken, aber immer wieder kamen diese Worte hoch, von denen Isabel behauptete, er habe sie im Schlaf gesprochen.
Wat hebt u met mama gedaan? Was haben Sie mit Mama gemacht?
An wen war die Frage gerichtet gewesen?
Er wusste es, irgendwo in sich wusste er es. Die Erinnerung schlummerte dicht unter der Oberfläche, gehalten nur von einem dünnen Häutchen aus Verdrängung und Nicht-wissen-Wollen. Und er wollte auch jetzt nichts davon wissen.
*
Wie ein filigranes Spinnennetz spannte sich die Hängebrücke über die Schlucht. Tief unter ihr wand sich der Fluss durch das bewaldete Tal. Die Brücke machte einen recht unsicheren Eindruck, musste Noah feststellen, die Halteseile aus Pflanzenfasern fransten bereits an vielen Stellen aus. Aber auf dieser Seite des Flusses gab es kein Fortkommen mehr: Eine hohe Steilwand versperrte ihnen den Weg. Und wer auch immer die Brücke erbaut hatte, lebte womöglich in der Nähe. Vielleicht konnte er von
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