Im Herzen der Nacht - Roman
schwachen Stimme eines Kindes vor ihrem letzten Atemzug.
In heißer Wut stieß er einen Kriegsschrei aus und verfluchte sie alle, versuchte den Groll der Morrigán heraufzubeschwören. Doch sie beachtete ihn nicht. Es war Artemis, die seinen wilden Ruf nach Rache erhörte.
Das Letzte, was er sah, war der Druide, der hinter ihn trat, um seinen Kopf festzuhalten. Dann hatte die Klinge seine Kehle durchschnitten …
Entschlossen verdrängte er die grausigen Erinnerungen. Dies alles gehörte der Vergangenheit an. Jetzt musste er Sunshine retten. »Weil ich von jugendlichem Zorn erfüllt war. In kurzer Zeit hatte ich sehr viel verloren - meine Tante, meinen Onkel, dich, unseren Sohn. In tiefer Trauer zwang ich mich, die Tage zu ertragen. Nur die Erkenntnis, der Clan und Ceara würden mich brauchen, erhielt mich aufrecht. Als die Druiden zu mir kamen und erklärten, ich müsse mein Leben den Göttern opfern, um den Clan zu schützen, fühlte ich mich sogar erleichtert. Ohne Zögern ließ ich mich auf dem Altar festbinden.« In seiner Fantasie sah er wieder seine Schwester, ihre Qual an jenem Tag. »Ceara weinte. Aber sie bemühte sich, tapfer zu sein. Alles verlief, wie ich es erwartet hatte. Bis mein Vetter Murrdyd den Männern befahl, meine Schwester zu ergreifen, und verkündete, die Götter würden sich nur besänftigen lassen, wenn wir beide starben.«
»Stimmte das?«
»Nein. Er wollte den Thron besteigen. Da Ceara und ich die legitimen Erben waren, musste er uns aus dem Weg räumen. Ich verstehe seinen Wunsch, mich zu töten. Aber warum musste er auch Ceara hinrichten? Diese Ungerechtigkeit ertrug ich nicht.«
Sunshine legte ihre Hand auf seine. »Tut mir so leid.«
»Auch sie mussten alles bedauern...«
»Was hast du getan?«
Beklommen dachte er an jene Nacht. »Damals war ich mit Artemis’ Hilfe bereits unsterblich. Wie ein wildes Monstrum stürmte ich durch das Dorf, tötete jeden Mann, der mir entgegenkam, und die Mörder meiner Schwester. Während ich mir einen Weg zu Murrdyd erkämpfte, flohen die Frauen. Skrupellos rächte ich mich an ihm, dann zündete ich alle Häuser an.«
»Und seither dienst du Artemis?«
Er nickte.
»Hast du sie je gesehen?«
»Nur ein einziges Mal, als sie zu mir kam, um meine Seele zu kaufen. Wir trafen uns in jenem Zwischenreich, wo die Seelen gefangen sind, nachdem sie diese Welt verlassen und die Reise in die nächste noch nicht angetreten haben.«
»Danach bist du ihr nicht mehr begegnet?«
»Nein, wir dürfen keinen Kontakt mit den Göttern aufnehmen, weil wir ihren Abscheu erregen.«
»Und Eros?«
Als sie den vergnügungssüchtigen, respektlosen Liebesgott erwähnte, lächelte er. »Nun, er ist ein bisschen anders. Aus verschiedenen Gründen genießt er unsere Gesellschaft.«
Sie beendeten die Mahlzeit. Dabei dachte sie bedrückt an das unermessliche Leid, das Talon erduldet hatte. Dass er
sie immer noch mit Nynia verwechselte, irritierte sie. Wenn sie auch eine Seele teilten, waren sie doch zwei verschiedene Frauen. Nicht dass es eine Rolle spielte. Solange er an Artemis gebunden und von Camulus verflucht war, blieb ihm eine Zukunft mit ihr verwehrt.
Während des Gesprächs mit Psyche hatte die Göttin erklärt, wie sie Artemis zu sich rufen und herausfinden konnte, ob Talon eine Chance bekommen würde, seine Freiheit zu erlangen. Sollte Sunshine dieses Ziel erreichen, würde sich vielleicht eine Möglichkeit ergeben, Camulus zu besiegen.
Nachdem Talon das Dinner bezahlt hatte, verließen sie das Lokal und gingen zum Club Runningwolf’s. Sunshine wusste nicht, warum Talon sie nach Hause bringen wollte. Zu ihrer Verblüffung führte er sie zur Tanzfläche. Sie hatte erwartet, er würde es vorziehen, mit ihr allein zu sein.
Aber dann genoss sie den Tanz mit ihm, seine geschmeidigen, erotischen Bewegungen. Als die Musik verklang, bat er sie, ihn mit ihrem Vater und ihrem Bruder bekannt zu machen. Die beiden saßen in einer Ecke, erledigten Papierkram, und Wayne half ihnen.
»Hi, Daddy, Storm, Wayne.«
Lächelnd blickten sie auf.
»Alles in Ordnung, Sunshine?«, fragte ihr Vater.
»O ja. Ich möchte euch mit Talon bekannt machen. Storm kennst du ja schon. Das ist mein Vater, Daniel Runningwolf. Und das ist Wayne.«
Talon reichte dem älteren Mann die Hand. Aber der ältere Mann griff nicht danach. »Da ich ein Schamane bin, darf ich Sie nicht berühren.«
»Tut mir leid, das habe ich nicht bedacht.«
Wayne entschuldige sich, und Daniel musterte
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