Im Herzen der Nacht - Roman
die Szene beobachtet. Er hatte seine kleine Schwester in seinen Umhang gewickelt, um sie zu wärmen. Seine Schuhe hatte er verkauft und Milch erworben, die Ceara nicht trinken wollte.
Trotzig stand er vor der versammelten Schar - bereit, alle bösartigen Angriffe zu ertragen. In den bernsteinfarbenen Augen glühte unerschütterliche Entschlossenheit.
»Wo ist deine Mutter?«, fragte König Idiag.
»Sie starb vor fast zwei Wochen.«
»Und dein Vater?«
»Vor sechs Monaten wurde er bei einem Angriff getötet, als er uns vor den Sachsen zu schützen versuchte.« Talon betrachtete das weinende Baby in seinen Armen. Dann blickte er wieder zu seinem Onkel auf. Seine Züge waren weicher geworden und verrieten seine Angst - der einzige Riss in der Fassade seiner Tapferkeit. »Bitte, Majestät, seid barmherzig zu meiner Schwester. Lasst sie nicht auch noch sterben.«
Idiag musterte ihn erstaunt. »Und du, mein Junge? Bittest du nicht um Gnade für dich selbst?«
Entschieden schüttelte Talon den Kopf. »Nein, Majestät. Für mich erbitte ich nichts.«
Sein Onkel adoptierte Ceara. Aber den Neffen erkannte er nicht an. So wie alle anderen verachtete er Talon und tat nichts, um ihn vor den grausamen Attacken des Clans zu schützen. Stattdessen forderte er den Jungen auf, die Prügel klaglos hinzunehmen, die er verdiente.
Diesen Befehl hatte Talon befolgt.
Sunshine konnte nicht zählen, wie oft sie ihn am Ufer des Sees angetroffen und mit seinem Schwert hatte üben sehen.
»Eines Tages werden sie mich respektieren, Nyn. Dazu will ich sie zwingen. Ich werde der beste Krieger sein, der jemals das Licht der Welt erblickt hat. Dann werden sie es nicht mehr wagen, mich zu verhöhnen.«
Nynia beobachtete, wie der wütende, gepeinigte Junge zu einem verbitterten Mann heranwuchs. Herausfordernd stolzierte er umher, die Stirn so düster gefurcht, dass sogar die mutigsten Clanbrüder vor ihm zurückschreckten. Allmählich bahnte er sich einen Weg ins Herz seines Onkels. Nachdem Speirr mehrere Schlachten siegreich beendet hatte, erkannte sogar der Clan, der ihn hasste, dass kein anderer sie vor allen Feinden schützen würde. Niemand wagte es, seinem Blick zu begegnen. Nur im angstvollen Flüsterton wagten einige immer noch, seine Mutter oder ihn selbst zu verunglimpfen.
Dem König blieb nichts anderes übrig, als ihn zu akzeptieren. Oder er hätte den Thron verloren. Talon war unbesiegbar. Stark, unnachgiebig, mächtig.
Nur wenn er mit Nynia allein war, entspannten sich seine grimmigen Züge. Nur dann hatte er gelacht und gelächelt.
Am schmerzlichsten erschien ihr die Erinnerung an ihren Tod in seinen Armen.
Sie legte eine Einkaufstüte und eine Thermosflasche auf den Couchtisch. Dann kniete sie neben Talons Kopf nieder, von zärtlichen Gefühlen überwältigt. Wie sehr sie ihn liebte. In vieler Hinsicht hatte sie sich verändert - er nicht. Er war immer noch der wilde Krieger, der Einzelgänger, derselbe Mann, der die Interessen anderer vor seine eigenen stellte.
Mit einer Fingerspitze zeichnete sie seine Brauen nach,
neigte sich vor und küsste seine Wange. Verwirrt zuckte er zusammen und fiel vom Sofa.
»Tut mir leid.« Sunshine unterdrückte ihren Lachreiz. Leicht benommen sah er sich um. Dann stand er auf und setzte sich auf die Couch. Es dauerte einige Sekunden, bis ihm bewusst wurde, wo er war. Die Stirn gerunzelt, räusperte er sich und starrte Sunshine an, die vor ihm auf ihren Fersen kauerte. Ihr Gesicht zeigte einen seltsamen, sentimentalen Ausdruck.
»Was hast du gemacht?«, fragte er
»Ich habe Dornröschen wach geküsst.«
Verärgert über diese Formulierung, schnitt er eine Grimasse, bis ihm ein Aroma in die Nase schien, das er fast so verlockend fand wie ihren Patschuli-Duft. »Kaffee?«
Sie reichte ihm eine Thermosflasche. »Und Beignets. Ich dachte, das schmeckt dir besser als mein Guavesaft und Cranberry-Muffins.«
Misstrauisch schaute er sie an. War sie von einem Daimon gekidnappt worden, der ihren Körper benutzte? Das konnte nicht die Frau sein, die seine Hütte stundenlang nach »ungiftigen« Nahrungsmitteln abgesucht hatte. Auch nicht die wütende Verführerin, die ihn zur Einsamkeit auf diesem winzigen Sofa verdammte. »Bist du mir nicht mehr böse?«
»Ich wünsche mir immer noch, dass du mir vertraust. Daran hat sich nichts geändert.«
Unfähig, den Kummer in ihren Augen zu ertragen, senkte er die Lider. Er wollte sie nicht kränken und ihr nichts vorenthalten. Doch er hatte keine
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