Im Herzen der Wildnis - Roman
eine Dose Corned Beef zu öffnen. Selbst dafür reichte seine Kraft nicht mehr. Noch während des Essens war er zusammengebrochen.
Skip war sterbenskrank, wie vor einigen Tagen auf dem Boot. Alistair hatte sie gewarnt. Eine kleine Dosis Opium oder eine Spritze Morphium, und Skip würde es sofort besser gehen.
Shannon atmete tief durch.
Ich habe keine Ahnung, welche Qualen er ertragen muss, dachte sie beklommen. Aber ich maße mir eine Entscheidung über Leben und Tod an. Nein, sie konnte nicht länger mit ansehen, wie sehr er leiden musste. Sie hatte Angst um ihn. Es ging hier nicht nur um sie oder Jay oder ihr gemeinsames Kind. Es ging um Skip. Und um sein Leben.
»Skip, ich weiß nicht, ob du mich hören kannst, aber ich habe dir etwas zu sagen. Was geschehen ist, tut mir leid. Ich weiß, wie schlimm es um dich steht. Und dass du dir Vorwürfe machst, weil du glaubst, du würdest mich bei meiner Suche nach Jay aufhalten.«
Sie wollte weiterreden, aber er schluchzte: »Ich fühle mich so schwach, Shannon. Ich bin ein solcher Versager!«
Und ich?, dachte sie verzweifelt. Bin ich nicht gescheitert in meinem Bemühen, dich zu retten? War nicht alles vergeblich, was ich bis jetzt für dich getan habe?
Mit einem Ruck zog sie ihre Satteltasche zu sich heran und holte die Blechdose hervor, die der Lazarettarzt ihr gegeben hatte. Sie nahm die erste von zehn Morphiumspritzen heraus. Skip beobachtete sie mit fiebrigem Blick, als sie ein Streichholz entzündete, um die Spritze zu desinfizieren. Sie schlug die Decken zurück. Mit dem Gürtel band sie seinen Arm ab, tastete nach der Vene und gab ihm das Morphium, das er so dringend brauchte, um zu leben, und das ihn gleichzeitig dem Sterben wieder einen Schritt näherbrachte.
Am nächsten Morgen folgte Rob seinen Freunden nach Norden. Sie ließen den Schlitten zurück und schwangen sich in die Sättel. Zwei Angestellte von Tyrell & Sons in Valdez hatten ihnen Pferde und Maultiere für ihre Ausrüstung gebracht. Schon vor Tagen, als Rob aus San Francisco telegrafiert hatte, waren sie aufgebrochen und über den Trail hierhergekommen.
Mit Colins und Joshs Huskys, die um die Pferde herumsprangen, folgten sie dem weiten Tal des Klutina River, und Rob war erschüttert über die vielen zerschmetterten Boote und Flöße am Ufer des reißenden Gletscherflusses.
Colin erzählte ihm, dass die Goldsucher an den Hängen über ihnen die Bäume für die Boote und Flöße fällten, mit denen sie ihre Ausrüstung über den Fluss transportierten. Die ersten drei Meilen des Klutina verliefen trügerisch ruhig, sodass die Männer die Boote ins gemächlich dahingleitende Wasser schoben. Aber nach einer Biegung des Flusses wartete die Hölle auf sie: brüllende Stromschnellen mit weißer Gischt, enge Windungen, flache Sandbänke und Felsen im Fluss, an denen die Boote zerschellten. Als sie wenig später das weiße Wasser erreichten, sah Rob die Überreste der Flöße zwischen den Felsen verkeilt. Ausrüstungsgegenstände dümpelten an unzugänglichen Stellen im Wasser. Zerrissene Kleidung hing in den Ästen von umgestürzten Bäumen am Ufer. Was für menschliche Tragödien verbargen sich hinter einem zerfetzten Stoffballen, einer verlorenen Ladung Vorräte oder einem zerschmetterten Boot mitten in der Wildnis Alaskas? Dies war wirklich ein Ort des Grauens. Captain Abercrombie und seine Männer hatten die Toten begraben. Die Überlebenden, die ohne Vorräte am Ufer umherirrten, um ihre Liebsten zu suchen, wurden über den Trail zurück nach Valdez gebracht. Von dreitausend Goldsuchern, die im letzten Jahr dort an Land gegangen waren, hatten nur zweihundert den Klutina überwunden. Colin fragte sich, ob es auch nur eine Hand voll Cheechakos durch die dichten Nadelwälder zum Tanana geschafft hatte.
Josh war in sich gekehrt. Immer wieder blickte er zurück zum Gletscher, der für Ian zum eisigen Grab geworden war. Auch als sie den leuchtend türkisblauen See vor sich liegen sahen, redete er kaum ein Wort. Gab er sich die Schuld an Ians Tod? Rob hatte nicht den Mut, ihn danach zu fragen. Was hätte er ihm sagen können, um ihn zu trösten?
Das Mittagessen war ein Erlebnis! Unweit des Sees betrieb eine Deutsche ein Roadhouse mit Bed & Breakfast. In den letzten Jahren war das Restaurant mitten in der Wildnis zu einem Treffpunkt der Trapper und Goldsucher geworden. Das Essen war köstlich: Charlotte servierte ihnen Bärensteaks mit Blaubeersauce. Colin verdrehte genüsslich die Augen und
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