Im Herzen der Wildnis - Roman
und romantischen Abend am Meer.
23
»Josh, wo steckst du?«, rief Jake. »Wir wollen aufbrechen!«
Josh nahm die Winchester und die Tasche vom Bett, verließ seine Kabine, in der er während der letzten Tage geschlafen hatte, und stieg mühsam die Treppe hinauf aufs Deck des gestrandeten Flussdampfers. Stufe für Stufe musste er sich am Geländer der Treppe hochziehen, denn die Wunde an seinem Bein schmerzte noch immer bei jedem Auftreten.
Während der Floßfahrt auf dem Tanana war der Winter viel zu früh hereingebrochen: Frost, Schnee, verkniffene Gesichter, verkrampfte Glieder und schlechte Laune, weil das Feuer auf dem Floß immer wieder ausgegangen war. Josh presste die Lippen zusammen, als er sich missmutig erinnerte, wie sie manche Mahlzeiten im eisigen Nieselregen kalt verspeist hatten und wie sie in manchen Nächten dicht aneinandergedrängt mit den Huskys unter der Zeltplane geschlafen hatten. Trotz des schlechten Wetters und der Enge auf dem Floß war es zu keinem Streit gekommen. Als sie schließlich die Mündung in den Yukon erreicht hatten, hatten sie das Wrack des Dampfers am Ufer entdeckt. Er war auf eine Sandbank gelaufen. Die Antriebswelle des Schaufelrades war gebrochen. Das Schiff war schon vor Jahren aufgegeben worden.
Sie hatten das Floß ans Ufer gesteuert und das Gepäck an Bord gebracht. Im Innern des Schiffs hatten sie Schutz vor dem Wetter und den Gefahren der Wildnis gefunden – jeder von ihnen belegte eine luxuriöse Kabine mit einem Bett, einem Tisch und einem Stuhl und einer wundervollen Aussicht durch vor Staub und Schlamm fast blinde Scheiben auf den Indian Summer. Das Schiff war längst ausgeplündert worden, und das Bettzeug fehlte, aber die Kabinen waren trocken und mit kleinen Holzöfen beheizbar. Im Speisesaal verbrachten sie einige schöne Abende, grillten Elchsteaks, spielten Karten oder lasen. Hier konnten sie in aller Ruhe auf ein Schiff warten, das sie stromabwärts zur Mündung des Yukon in die Beringsee brachte – falls es sie mitnahm. Meist waren die Dampfer bis zum letzten Stehplatz ausgebucht, denn vor dem Winter kehrten viele Goldsucher in den Süden zurück.
In Jeans und Parka stand Jake an Deck, beschattete die Augen und blickte hinüber zu dem Steamer, den Colin vorhin angehalten hatte. Sobald der Kapitän die Maschinen gestoppt hatte, war Colin hinübergeschwommen, um die Passage für sie zu organisieren. Der Dampfer war ausgebucht, berichtete Colin nach seiner Rückkehr, aber der Kapitän würde sie trotzdem mitnehmen: in seiner Kabine. Er würde beim Ersten Offizier schlafen. Colin hatte gegrinst: »Ist schon praktisch, wenn einem das Schiff gehört, auf dem man eine Reise machen will.« Die Northern Lights , ein Frachtdampfer, der regelmäßig zwischen St. Michael an der Beringsee und Dawson verkehrte, gehörte Tyrell & Sons.
Jake drehte sich zu Josh um, als er auf ihn zu humpelte. »Warte, ich helfe dir.« Er nahm ihm die Tasche und die Winchester ab. »Stütz dich auf mich.«
Josh ließ sich von ihm die steile Gangway hinunter zum Schotterbett des Yukon führen.
Er konnte von Glück reden, dass nicht mehr passiert war, als er während der Elchjagd vor einigen Tagen einem Grizzly begegnet war. Colin, Jake und er hatten einen Wald durchquert, dessen dichte Vegetation mit dem Moos und den Farnen an einen Dschungel erinnerte. Der Kolibri, der eigentlich längst auf dem Weg nach Mexiko hätte sein sollen, hatte diesen Eindruck noch verstärkt, denn der Tag war warm und sonnig gewesen. Während des Indian Summer wurde es oft noch einmal heiß, bevor der Winter endgültig alles unter einer Schneedecke begrub, die erst im Mai wieder schmelzen würde.
Jenseits des Waldes hatte sich ihnen ein überwältigender Anblick geboten: Wegen des starken Frosts hatten sich die Blätter bereits verfärbt, und der Indian Summer erstrahlte in einem atemberaubenden Leuchten.
Colin hatte einen Elch erlegt. Jake hatte sich durch das Blaubeergestrüpp zu ihm durchgekämpft, als plötzlich ein Grizzly aus dem nahen Birkenwäldchen gebrochen und wenige Schritte vor Josh stehen geblieben war. Er hatte den Grizzly aufgescheucht, der gerade ein Elchkalb gerissen und ins Gebüsch gezerrt hatte. Die Beute war noch nicht tot und schrie. Der Grizzly hatte Josh gemustert, der langsam seine Winchester gehoben und angelegt hatte. Ladehemmung! Das metallische Klicken hatte die Bärin gereizt, die brüllend auf Josh zugestürmt war, um ihr Junges zu schützen, das hinter ihr zwischen den
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