Im Herzen der Wildnis - Roman
angesehenen Familien. Ihr Vater war hier Mitglied gewesen. Ihr Onkel, ihre Brüder und Cousins kamen her, wenn ihnen zu Hause die Luft zu dick wurde.
Der Butler bemühte sich, Shannon unauffällig durch die Clubräume zu geleiten. Doch sie erregte die Aufmerksamkeit der Männer, die bei Whiskey und Zigarren beisammensaßen. Ein Gentleman ließ seine Zeitung sinken, sah sie stirnrunzelnd an, als traue er seinen Augen nicht, dann stemmte er sich aus seinem Ledersessel hoch und eilte ihr entgegen. »Miss Tyrell.«
»Mr Hearst.«
William Randolph Hearst war Medientycoon und Millionär. Shannons Reportagen aus aller Welt waren in seinen Zeitungen in San Francisco und New York erschienen. Noch für dieses Jahr plante er die Gründung eines weiteren Blattes in Chicago. Mit festem Griff umschloss er ihre Hand. »Mein aufrichtiges Beileid. Ich war erschüttert, als ich vom plötzlichen Tod Ihres Vaters hörte. Ein tragischer Verlust für San Francisco.«
»Danke, Sir.«
»Sean Tyrell war ein großartiger Mensch. Ich habe ihn sehr geschätzt. Er wird uns allen unvergessen bleiben.«
Shannon erwiderte nichts.
»Ich dachte, Sie seien in Hongkong. Was machen Sie denn im Bohemian Club?«
»Ich bin … geschäftlich hier.«
»Ah! Schreiben Sie einen Artikel über den Club?«
»Nein, Sir.«
»Ihr Bruder Skip war vorhin auch hier.«
»Ich weiß, Sir«, sagte sie mit einer Ruhe, die sie selbst erstaunte. »Wir sind verabredet.«
»Dann will ich Sie nicht länger aufhalten. Sind Sie morgen Abend auf Charltons Geburtstagsparty? Ich habe eine Idee, die ich gern bei einem Glas Champagner mit Ihnen diskutieren würde.«
Shannon sah ihn fragend an.
»Alaska. Yukon. Goldrausch. Eine Serie über Frauen, die in Alaska ihr Glück gefunden haben, entweder einen Sack voller Nuggets oder einen Kerl mit goldenem Herzen. Was meinen Sie? Zwanzig Folgen. Wöchentlich. Ganzseitig. Mit Fotos. Haben Sie Zeit?«
»Die National Geographic Society will eine Expedition finanzieren, die ich leiten soll.«
»Meinen Respekt! Und wann?«
»Im Sommer. Die Vorbereitungen beginnen im März. Abreise nach Skagway im Mai. Zur Eisschmelze sind wir am Yukon. Rückkehr nach San Francisco im Oktober, bevor die Beringsee an der Mündung des Flusses wieder zufriert.«
»Wie viele Jungs werden Sie herumkommandieren?«
»Die Mounties, die uns auf kanadischem Gebiet eskortieren sollen, nicht mitgerechnet? Zwanzig.«
»Haben Sie schon zugesagt?«
»Noch nicht.«
»Eine Million Auflage nur in New York – San Francisco und Chicago nicht eingerechnet. Da kann die National Geographic Society nicht mithalten«, lockte er Shannon. »Denken Sie mal darüber nach. Ich habe niemanden außer Ihnen, den ich nach Alaska schicken könnte. Ihre New Yorker Kollegen verirren sich schon im Central Park, und alles westlich des Hudson ist unerforschte Wildnis. Hätte jeder diese Einstellung, wäre Amerika immer noch nicht entdeckt.« Er grinste matt. »Sehen wir uns morgen Abend?«
»Ich bin nicht eingeladen.«
»Ach ja, die alte Fehde zwischen Caitlin und Charlton. Was, wenn Sie trotzdem auf dem Nob Hill auftauchen? Charlton würde das bestimmt imponieren.«
»Caitlin ganz sicher auch. Aber ich bin schon verabredet.«
»Wirklich schade. Sie und Josh – das hätte ich gern gesehen. Na, egal. Ich bin nächste Woche wieder in New York. Rufen Sie mich vorher mal an? Dann reden wir in Ruhe über Ihr Honorar und über die Finanzierung der Expedition.«
»Mach ich. Danke für Ihr Mitgefühl und Ihre freundlichen Worte über meinen Vater. Guten Tag, Mr Hearst. Bye.«
Mr Sutherland erwartete sie in seinem Büro – Mr Wilkinson hatte ihn vom Hotel aus angerufen. Er öffnete die Tür zu einem Nebenraum, wo Skip auf einem Ledersofa schlief. Sein Haar war zerzaust, die Lippen waren leicht geöffnet, das schmale Gesicht war bleich und glänzte vor Schweiß, aber er wirkte entspannt. Skip so zu sehen schmerzte sie. Er war der Einzige in ihrer Familie, der ihr wirklich nahestand.
»Seit wann ist er in diesem Zustand?« Es fiel ihr schwer, sich die Erschütterung nicht anmerken zu lassen.
»Seit zwei Stunden. Er hat Absinth getrunken.« Mr Sutherland nahm ein Fläschchen vom Tisch und zeigte es ihr.
Laudanum also. Skip konnte die Finger einfach nicht vom Opium lassen. Sie musste tief durchatmen, weil die Traurigkeit sie zu überwältigen drohte. »Haben Sie … einen verschlossenen Umschlag gefunden?«
»Einen Abschiedsbrief? Nein, Ma’am.«
Also kein Selbstmordversuch. Sie
Weitere Kostenlose Bücher