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Im Herzen der Wildnis - Roman

Im Herzen der Wildnis - Roman

Titel: Im Herzen der Wildnis - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norah Sanders
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brauchte. Sie saß da und dachte darüber nach, wie es dazu gekommen war, dass Skip die tragische Rolle in diesem Familiendrama spielte. Er war so feinfühlig, dass er unter der Gefühlskälte und unterschwelligen Gewalt litt, aber doch so aufopferungsvoll, dass er ihre Verbitterung und ihre Verlogenheit wortlos ertragen hatte. Hatten sie ihn, den Schwächsten, den Empfindsamsten und Verletzlichsten, in die Rolle des Irren gedrängt, der alle anderen im Vergleich vernünftig und zurechnungsfähig erscheinen ließ? Shannon blickte wieder zur Uhr auf dem Nachttisch. Jay wartete auf sie. Aber sie konnte Skip jetzt nicht verlassen. Eine Weile saß sie neben ihm und redete leise mit ihm, weil sie glaubte, dass er sie hören konnte. Schließlich nahm sie Der kleine Lord vom Nachttisch und las ihm vor. Eine Träne rann über Skips Wange. Er konnte sie also verstehen …
    Ein leises, zögerndes Klopfen an der Tür. Sie ließ das Buch sinken. Caitlin blieb in der offenen Tür stehen, die Hand an der Klinke. Bleich sah sie zum Bett herüber. »Mr Wilkinson hat mir gerade gesagt …« Sie verstummte erschüttert, als sie Skip im Bett liegen sah. Traurig schüttelte sie den Kopf, atmete mit einem erstickten Keuchen tief durch, straffte die Schultern und verließ den Raum.
    Shannon legte das Buch neben Skip. »Bin gleich wieder da!« Dann sprang sie auf und folgte ihrer Großmutter in ihre Räume, die aussahen, als hätte ein Erdbeben sie verwüstet.
    Caitlin stand vor dem Marmorkamin und betrachtete blass und zitternd ihr Porträt, auf das Skip in seiner ohnmächtigen Wut mit seinem Baseballschläger eingeschlagen hatte. Sie versuchte, Haltung zu bewahren, aber Shannon sah ihr an, wie erschüttert sie war.
    Sie nahm ihr die zerfetzte Leinwand aus der Hand, legte sie behutsam neben den zertrümmerten Rahmen auf den Boden, fasste Caitlin am Ellbogen und führte sie sachte zu einem Sessel neben dem Bett. Dann kehrte sie zur offenen Tür zurück und rief nach dem Butler. »Mrs Tyrell fühlt sich nicht wohl. Sie darf sich auf keinen Fall noch mehr aufregen. Ich wünsche, dass alle Störungen von ihr ferngehalten werden. Keine Briefe, keine Besuche, keine Anrufe. Auch nicht von Mr Eoghan aus Sacramento.«
    »Wer soll …?«
    »Ich übernehme das. Und bringen Sie Mrs Tyrell bitte einen Tee, der sie beruhigt.«
    »Sofort, Ma’am.«
    Shannon kehrte zu Caitlin zurück und schloss leise die Tür, bevor sie zu ihr hinüberging. »So steht’s also.«
    Caitlin nickte, sah Shannon jedoch nicht an.
    »Geht es Ihnen gut, Ma’am?«
    Sie blickte auf. »Ja.«
    »Warum sind Sie eben aus dem Zimmer gegangen?«
    »Weil ich dachte, dass du mich nicht brauchst.«
    Shannon sah ihre Großmutter nur unverwandt an.
    Caitlin senkte den Blick. »Und weil ich dachte, dass Skip mich hasst.« Sie machte eine Geste, die ihre verwüsteten Räume umfasste, ihr Porträt, ihren Schmuck und ihre Kleider, die über den Boden verstreut lagen. »Skip macht mir Angst.«
    »Weil Sie fürchten, er könnte eines Tages auf Sie losgehen?«
    Caitlin nickte angespannt. Sie hatte letzte Woche schon davon geredet, dass sie vorhabe, Skip für unzurechnungsfähig zu erklären und ihn entmündigen zu lassen.
    »Mir macht eher sein lebensbedrohlicher Zustand Angst.«
    Ihre Großmutter schloss die Lider und antwortete nicht.
    »Ich weiß, wie schwer es Ihnen fällt, Ihre Gefühle offen zu zeigen. Würde, Autorität und Willensstärke bedeuten aber doch nicht, alles zu unterdrücken, was gut und schön ist. Mein Vater ist mit vereisten Gefühlen im Herzen gestorben.«
    Überrascht sah Caitlin sie an.
    »Und auch Skip geht daran zugrunde. Ich kann die Verantwortung für ihn nicht mehr länger allein tragen, Ma’am, die Last wird mir zu groß. Bitte helfen Sie mir, und nehmen Sie mir einen Teil der Gewissensnot ab.«
    »Wie?«
    »Ich möchte, dass Sie dabei sind, wenn ich morgen mit Alistair darüber spreche, wie wir beide Skip helfen können. Er darf keinen Zugang zu Opium, Laudanum oder Heroin mehr bekommen, so schlimm die Entzugserscheinungen für ihn auch sein werden. Er darf das Haus nicht verlassen, bis sein Zustand sich gebessert hat. Unser beider Aufgabe wird es sein, ihm seinen Aufenthalt so angenehm wie möglich zu machen. Viel Ruhe, gutes Essen, schöne Musik und lange Spaziergänge am Strand, damit er wieder zu Kräften kommt. Keine Strafpredigten, keine Vorhaltungen, keine Sticheleien und kein Streit. Nur Vertrauen, dass Skip es schaffen wird. Und Liebe.«
    Caitlin nickte

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