Im Herzen der Zorn (German Edition)
ein trauriges Lächeln. »Gabby hat eben das gewisse Etwas«, antwortete er. »Sie ist ein guter Mensch. Sie denkt immer an andere. Sie braucht nichts zu beweisen. Sie ist einfach … lustig.«
Einfach lustig. Ein guter Mensch. Nichts zu beweisen. Ganz anders als Skylar. Augenblicklich wurde ihr klar: Sie war weit davon entfernt, wie Gabby zu sein, egal wie viele von Gabbys Charaktereigenschaften sie sich auch anzueignen versuchte.
Pierce wandte sich zum Gehen. »Warte!«, rief sie ihm nach. Er lief einfach weiter.
Sie stand einen Moment reglos da, versuchte wieder zu Atem zu kommen. Und dann hörte sie etwas, ein Geräusch, weit entfernt und gleichzeitig ganz nah. Wie ein kreischendes Lachen oder ein schrilles Quietschen. Oder vielleicht … Schritte? Hatte Pierce seine Meinung geändert? Aber das Geräusch war hinter ihr. Skylar wirbelte herum, inzwischen hatten ihre Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt. Dort drüben schimmerte etwas. Auf dem Tisch, an dem Gabby, Em und ihre Clique immer saßen. Dem Promi-Tisch. Dem Tisch direkt unter dem Glasdach der Rotunde, dem Tisch, an dem auch sie in den letzten herrlichen Tagen gesessen hatte.
Sie ging näher heran. Es war ein glänzendes Foto mit zwei Gestalten darauf. Sie beugte sich vor, um es in die Hand zu nehmen, und als sie nah genug war, um es richtig zu sehen, begann ihr Herz, sich ihr in die Brust zu bohren. Sie stolperte rückwärts. Nein. Unmöglich.
Es war das Bild. Das Bild von ihr und Lucy, das sie schon vor Wochen zerstört hatte, gleich als sie nach Ascension gezogen war. Das Foto, das sie zerrissen hatte. Die Erinnerung, die sie für immer loswerden wollte. Es lag mitten auf dem Tisch, zusammengeklebt wie die Bastelarbeit eines Grundschülers. Skylar lief es eiskalt über den Rücken. Sie wagte nicht, das Bild zu berühren. Sie starrte es nur an, als würde es sie jeden Moment beißen.
Sie war so sehr auf das Bild fixiert, dass sie kaum das entfernte Ächzen von oberhalb wahrnahm.
Doch dann wurde das Geräusch lauter und Skylar begriff, dass etwas nicht stimmte. Es war, als stöhnte der Himmel. Sie spähte hinaus auf den Parkplatz. Nichts. Sie blickte zu der Tür hinaus, durch die Pierce verschwunden war. Ebenfalls still und stumm. Aber irgendetwas kam auf sie zu – sie ahnte es, sie hörte es, sie spürte es.
Das Grollen wurde noch lauter, wie ein Zug, der aus der Ferne ankam, bis es ihr in den Ohren sauste. Das Ganze in Sekundenschnelle und doch hatte sie Zeit genug, um zu überlegen: Gibt es jetzt ein Erdbeben? Und dann: Es klingt wie eine umkippende Eiswürfelschale, nur tausendmal lauter.
In dem Augenblick spürte sie einen Stoß kalter Luft auf dem Kopf. Sie blickte nach oben, gerade noch rechtzeitig, um zu sehen, wie die Decke unter der Last des Schnees in tausend tödliche Stücke zerbarst.
Es kam ihr vor wie in Zeitlupe, es war beinahe schön, wie der Schnee sich mit dem zersplitterten Glas vermischte, wie scharfe weiße Federn. Es nahm ihr den Atem. Wie angewurzelt bestaunte sie deren schreckliche Schönheit, selbst als die riesigen Scherben begannen, ihr in eisigem Nebel auf Hände und Gesicht zu regnen. Sie hätte schwören können, inmitten des ohrenbetäubenden Getöses wieder mädchenhaftes Gekreische zu hören – vielleicht auch Gelächter –, bevor ihr Kopf auf dem Linoleumboden aufschlug.
Dann verwandelten sich das Getöse und das Gelächter in brennenden Schmerz.
Danach Dunkelheit.
Dritter Akt
Vergeltung
oder
Der letzte Tanz
Kapitel 25
Ein Unglück? Blödsinn. Em wusste es besser.
Es war die Rede von »maroder Bausubstanz« des Rotundendaches, aber Em kam die ganze Sache seltsam vor. Warum war Skylar überhaupt so spät noch in der Schule gewesen? Die Furien hatten sie markiert – da war Em sich sicher – und nun hatte sie den Preis gezahlt. Und hatte Ty nicht vor Kurzem gesagt, Em sollte auch auf ihre anderen Freundinnen aufpassen? Nicht dass Skylar eine Freundin gewesen wäre, aber das mit ihrem »Unfall« war eindeutig zu viel des Zufalls.
Während alle anderen über das Geschehene und über das Frühlingsfest – das trotzdem wie geplant stattfinden sollte (»Die Schüler brauchen jetzt etwas Positives«, hatte die Verwaltung beschlossen.) – tratschten, verlor Em sich in dunkleren Gedanken. Sie fragte sich, wie die Furien es wohl geschafft hatten, Skylar mitten in einem Schneesturm in die Schule zu locken, und wie sie das Glas manipuliert hatten, damit es direkt über ihrem Kopf einstürzte. Und was sie
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