Im Herzen der Zorn (German Edition)
die Haustür hinter sich schließen.
Ich bin nicht verrückt. Ich bin nicht verrückt. Ich bin nicht verrückt . Wie ein Mantra wiederholte sie die Worte, während sie gleichzeitig versuchte, die Tränen zu unterdrücken, die ihr den Blick zu vernebeln drohten. Die Situation war schließlich seltsam und verdächtig gewesen und sie hatte jedes Recht, wütend darüber zu sein, dass Drea behauptete, alles über sie und JD zu wissen. Sie war völlig normal. Nicht verrückt.
Wenn sie es sich nur oft genug sagte, würde sie es vielleicht glauben.
Als sie sich ihrer Haustür näherte, blieb sie plötzlich wie vom Donner gerührt stehen. Sämtliche Atemluft entwich mit einem Schlag ihrer Lunge.
Die Tür war übersät mit Flecken. Roten Flecken.
Nein. Handabdrücken. Mindestens ein Dutzend, verschmiert und klebrig, wie das total missglückte Fingerfarbenbild eines Kindes. Blitzschnell drehte sie den Kopf und sah über die Schulter. Nichts. Ein kleines Wimmern entwich ihrer Kehle.
Sie drehte sich wieder zur Tür. Die Abdrücke waren bräunlichrot, eindeutig die Farbe von Blut. Blutige Handabdrücke, die an der Tür hinaufreichten, als hätte jemand verzweifelt versucht, sich daran zu klammern, um hineinzugelangen. Ihr sackten die Beine weg und für einen kurzen Moment wurde ihr schwarz vor Augen. Noch einmal wandte sie den Kopf nach hinten.
»Hal… hallo?«, rief sie, obwohl sie wusste, dass da niemand war.
Dann sah sie plötzlich blonde Haare hinter einer Baumgruppe aufblitzen. Sie kannte diese Haare. Es war Ali. Ali wie Alekto, die Furie, die hinter ihr her gewesen war. Die Rachegöttin, die, wie Em gelesen hatte, in der Mythologie moralische Vergehen rächte. Ali, deren rotes Lippenstiftlächeln wie die Blumen auf einer Beerdigung war, süß und todverheißend. War sie etwa hier? Hatten ihre Hände diese blutige Schweinerei an ihre weiße Tür geschmiert?
»Verschwinde!«, rief Em. Aber da war niemand, nicht einmal ein Schatten. Einen Moment lang zog sie in Erwägung, über den Rasen zurück zu Drea zu laufen. Doch sie konnte nicht, nicht nach ihrem Zusammenstoß vor wenigen Minuten.
Sie war ganz allein.
Die Angst erstickte sie beinahe, machte es fast unmöglich zu atmen. Sie ging näher zu der Tür. Noch näher. Ihr Kopf war voll mit schrecklichen Bildern: aufgeschnittene Handflächen, ausgerissene Fingernägel. Sie dachte daran, wie sie und Gabby sich in der vierten Klasse aus der Hand gelesen und die Herz- und die Lebenslinie zwischen den Falten ihrer Handflächen gesucht hatten. Diese Abdrücke hier waren völlig plan, ohne jede Kennzeichnung, nicht einmal die Wirbel und Schlangenlinien der Fingerabdrücke waren zu sehen. Einfach nur glatte, glänzende, blutige Formen.
Sie musste die Flecken entfernen, bevor ihre Eltern nach Hause kamen. Sie wickelte sich das Ärmelbündchen ihres Sweatshirts um die Hand, achtete darauf, dass sie die tropfende rote Substanz nirgends berührte, und schob die Tür auf. Sie stürzte hinein und suchte unter der Spüle hektisch nach etwas zum Saubermachen.
Anschließend, die Knie auf den kalten Stein der Eingangstreppe gepresst, schrubbte sie, schrubbte so lange, bis ihre Hände ganz wund waren. Die Abdrücke lösten sich unter dem Seifenwasser auf und ließen den Schwamm bräunlichrot werden. Die dunkle Brühe rann ihr über die Ärmel, ließ ihr die Handgelenke erstarren. Sie musste würgen, schrubbte jedoch weiter, bis die Flecken endlich verschwanden. Erst als sie sich zitternd und erschöpft die Treppe hinaufschleppte, um die Dusche so heiß wie möglich voll aufzudrehen, verrieten ihr die roten Augen, die sie aus dem Spiegel anstarrten, und die Streifen, die die Tränen auf ihren Wangen hinterlassen hatten, dass sie geweint hatte.
Kapitel 10
Es war am Mittwoch um kurz vor sieben, als Skylars Handy klingelte und ihr einen Schreckensschauer den Rücken hinaufjagte. Sie saß gerade auf einem der bequemen Stühle in Tante Noras Wohnzimmer und versuchte, sich auf ihre Mathehausaufgaben zu konzentrieren. Sofort klappte sie das Buch zu und setzte sich kerzengerade hin.
Sie wusste, wer das war. Wer das sein musste.
Schließlich war es ihr zweiundvierzigster Geburtstag.
Der ihrer Mutter. Valerie.
Sie hatte schon über vier Wochen nicht mehr mit ihr gesprochen. Als sie das Telefon nahm, zitterte ihr die Hand.
»Du hättest es vergessen, stimmt’s?« Kaum hatte Skylar den Anruf angenommen, legte ihre Mom schon los. Ihre Stimme war undeutlich und es hörte sich an, als
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