Im Herzen der Zorn (German Edition)
suchen«, entschloss sie sich, ihm zu erzählen. »Sie war weder gestern noch heute in der Schule, und wenn ich anrufe, geht sie nicht ran. Sie ist wie vom Erdboden verschluckt.«
»Typisch Feiffer«, stellte Crow fest. »Immer schwer zu finden. Sie wird schon wieder auftauchen, und zwar unversehrt. Dann könnt ihr euch in Ruhe eurem Vampirserien-Dauergucken zuwenden oder was ihr Mädels sonst so treibt.« Einen kurzen Moment hörte Crow auf zu lächeln und wirkte ganz ernst. »Ihre Mom ist gestorben, als sie noch klein war. Ich glaube, deshalb hat sie so ihre dunklen Tage.«
Em zitterte, sogar in dem warmen, trockenen T-Shirt.
»Em«, sagte er und seine Stimme klang jetzt verändert, hatte nicht mehr diesen sarkastischen Unterton. »Es gibt etwas, das ich dir gern sagen würde.«
Ems Herz begann, schneller zu schlagen.
Er zögerte weiterzusprechen.
»Ja?«
»Ach, ähm, Grau steht dir gut.«
Sie war sich sicher, dass es nicht das war, was er hatte sagen wollen, doch sie drängte ihn nicht weiter. Während sie schwiegen, ließ ihr Atem langsam die Autoscheiben beschlagen.
Dann hörte plötzlich die Musik auf. Er beugte sich vor und fing wieder an, den iPod durchzuscrollen. Der Moment war vorbei. Em war seltsam enttäuscht. Crow stellte einen neuen Song an und die Musik verwandelte sich in etwas noch Schöneres – eine einzelne Gitarre, die vor dröhnenden Backgroundakkorden eine seltsame Melodie anschlug.
»Die Musik ist unglaublich schön«, sagte Em und knüllte ihr weißes T-Shirt zusammen. »Wer ist das?« Sie nahm ihre Haare zu einem tiefen, feuchten Knoten zusammen.
Crow hüstelte. »Das … das bin ich. Es ist noch nicht fertig. Ich arbeite noch dran. Ich bin mir nicht ganz im Klaren, in welche Richtung es gehen soll.«
Em verschlug es die Sprache. »Wow. Das ist toll, Crow. Du hast echt Talent.«
»Tu nicht so überrascht, Prinzessin«, entgegnete er knapp. »Nur weil ich die Highschool abgebrochen habe, bin ich noch lange kein Idiot.«
»Das hab ich nicht …« Doch dann verteidigte sie sich nicht weiter. Sie merkte, dass er nur mit ihr spielte. In seinem Blick lag ein Lächeln.
Em lehnte sich an die Kopfstütze zurück und atmete tief durch. Es fühlte sich gut an, in diesem Truck zu sitzen, wo nichts von ihr erwartet wurde.
Trotzdem konnte sie sich nicht verkneifen, ihn noch ein bisschen auszufragen. »Wie lange kennst du Drea denn schon?«
Crow blickte auf und versuchte, sich zu erinnern. »Also, wir haben auf der Middleschool angefangen, miteinander rumzuhängen. Als das mit den Cliquen langsam losging, weißt du.« Dabei sah er sie an, als sei es ihre Schuld, dass das gesellschaftliche Leben an der Junior Highschool einem Albtraum glich. »Wir haben diesen Scheiß beide gehasst. Und es fand sich eine ganze Mannschaft zusammen, die einfach nur … Eine Clique von Cliquenhassern sozusagen.«
»Ich erinnere mich an euch«, sagte Em. »Ihr seid mit euren Skateboards immer am Lehrerparkplatz rumgefahren.«
Crow stieß einen Lacher aus. »Und haben so ungefähr einmal die Woche Ärger deswegen gekriegt.«
»Ich hab euch für voll die Aufrührer gehalten«, sagte Em. »Wenn ich in der Middleschool irgendwelchen Ärger gekriegt hätte, wäre das für mich der Weltuntergang gewesen.« Sie dachte an die Tage zurück, an denen sie und Gabby immer auf den Bänken am Fußballplatz gesessen, Freundschaftsbändchen geflochten und davon geträumt hatten, mit Jungs auszugehen, wenn sie erst auf der Highschool waren. Ihre Brust krampfte sich einen Moment zusammen. Damals war alles so einfach gewesen.
»Wir waren beide Außenseiter – sie ist praktisch Waise«, erzählte Crow weiter. Em sah ihn an und lauschte dem stetigen Trommeln des Regens auf dem Autodach. »Und später, als ich beschloss, die Schule zu schmeißen, hat sie nicht versucht, mich davon abzubringen. Keiner von uns hat jemals irgendwie versucht, den anderen zu etwas zu zwingen. Zum Reden etwa oder dazu, in einer bestimmten Weise zu empfinden. Ich glaube, wir haben einfach beide verstanden, wie es sich anfühlt. Wenn alles so … kompliziert ist.«
Em dachte daran, was Crow vorher gesagt hatte – dass Drea von Zeit zu Zeit einfach mal allem entfliehen musste. »Du verstehst es also«, sagte sie. »Wenn Drea mal für sich sein will.« Sie fragte sich, ob Drea Crow wohl jemals von den Furien erzählt hatte, aber sie wusste nicht, wie sie danach fragen sollte.
»Die wenigsten Leute wissen, wie man mit sich selbst klarkommt«,
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