Im Herzen der Zorn (German Edition)
gehorchte und stieg, begleitet von einem Schwall kalter Luft, auf den Vordersitz des Wagens. Der Regen hatte dazu geführt, dass der schwarze Eyeliner unter ihren Wimpern zu Halbmonden verschmiert war, weswegen sie verängstigt und müde aussah. »Ich habe nach diesem Haus gesucht«, platzte sie heraus. »Von dem du in deiner Nachricht auf der Mailbox erzählt hast.«
»Allein? Warum hast du nicht auf mich gewartet?« Em brachte das Auto abrupt zum Stehen und drehte sich zu Drea um. »Warum hast du mich nicht zurückgerufen?«
»Hübsches T-Shirt«, sagte Drea und musterte Em von oben bis unten. Em war klar, dass sie es als das von Crow erkannte.
»Danke.« Sie zuckte mit den Schultern und überging das Thema. »Jetzt sag schon, was du gemacht hast. Warum hast du mich nicht vorher angerufen?« Am liebsten hätte sie Drea für ihre Leichtsinnigkeit geschüttelt.
»Ich musste mal allein sein«, antwortete Drea und wich Ems Blick aus.
Em atmete langsam durch. Also gut. Wenn Drea die Dinge auf ihre Art regeln musste, würde Em sie lassen. Besser, als sie ganz zu verlieren.
»Hör zu, Drea, es tut mir leid.« Em versuchte, so ruhig wie möglich zu klingen. Sie zog an den langen Ärmeln von Crows T-Shirt und stellte überrascht fest, dass es, genau wie einige ihrer eigenen, kleine Daumenlöcher in den Bündchen hatte. »Es tut mir leid wegen neulich Abend bei JD. Ich bin bloß … ich hab so ein paar Gefühle wegen ihm … für ihn … die ich nicht so gewohnt bin. Und es tut mir leid, wenn du jetzt denkst, ich wäre als Freundin eine Niete. Du bist mir wichtig. Ich hab mir wirklich Sorgen um dich gemacht.«
Drea machte eine Handbewegung, um Em das Wort abzuschneiden. »Schon gut, schon gut. Es reicht. Entschuldigung angenommen. Das ist jetzt nicht wichtig.« Sie holte tief Luft. »Das Haus, Em, von dem du gesprochen hast …«
Ems Herz schlug schneller. »Hast du es gefunden?«
»Keine Spur davon«, erwiderte Drea leise und Em hatte das Gefühl, einen Schlag in den Magen versetzt zu bekommen. »Ich hab eine Riesenrunde gedreht. Ich war stundenlang da draußen. Kein Haus.«
Em kam es vor, als wäre sämtlicher Sauerstoff aus dem Auto gesogen worden. Plötzlich bekam sie wieder diesen Tunnelblick, genau wie am Lagerfeuer. Wie konnte es sein, dass Drea das Haus nicht gefunden hatte? Es war doch da. Es war real.
»Es war da, Drea. Ich hab es gesehen.«
»Ich glaube dir«, antwortete Drea und drehte sich zu ihr um. »Ich kenne noch jemanden, der es einmal gesehen hat.«
»Was? Wer denn? Komm schon, Drea, raus damit.« Em glaubte, die Antwort bereits zu kennen.
»Sasha«, sagte Drea. »Sasha hat mir von einem Haus im Wald erzählt. Bevor sie starb. Daraufhin hab ich ihr den Schlangenanhänger gegeben. Der, den sie umhatte, als sie … du weißt schon. Sprang.« Drea räusperte sich und sah weg.
Etwas tief in Ems Innerem begann, sich zu drehen. Wie ein Motor, der nach langem Ruhezustand polternd wieder ansprang. Das Buch, die Beschwörungen, die Furien. Sie war verlockend nah dran, dieses schreckliche Rätsel zu lösen. Doch sie hütete ihre Zunge. Wenn sie an diesem Punkt zu viel sagte, würde sie auch Drea in Schwierigkeiten bringen.
»Und, Em? Ich hab etwas anderes gefunden«, sagte Drea und wandte sich Em langsam wieder zu. Sie fuhr sich mit der Hand nervös über die abrasierte Seite ihres Kopfes, wo sich langsam so etwas wie ein unordentlicher Kurzhaarschnitt bildete.
»Was denn?« Em war ganz außer Atem.
»Das musst du dir selbst ansehen. Park den Wagen am Wendeplatz«, sagte Drea und zeigte nach vorn. »Ich bringe dich gleich hin.«
Trotz des Regens und trotz ihrer Angst parkte Em protestlos den Wagen und marschierte mit Drea in den Wald, wo sie sich von hinten der Lichtung näherten, auf der das Haus stehen musste. Em war sich sicher, dass sie die Stelle wiedererkennen würde, auch als die Dämmerung um sie herum sich immer tiefer senkte. Während sie durch den Regen stapften und ihre Schuhe saugende Geräusche im Schlamm machten, blickte Em sich nach irgendwelchen Hinweisen um, die ihr bekannt vorkamen. Da war eine große Kiefer mit gespaltenem Stamm gewesen. Die würde sie auf jeden Fall wiedererkennen, wenn sie sie sah.
»Es ist direkt hinter der Kurve«, sagte Drea. »Ich kann hier im Schlamm noch ein paar meiner Fußabdrücke sehen.«
Em blickte nach oben, musste blinzeln, als heftiger Regen ihr in die Augen fiel. Da war sie – die Kiefer mit den zwei Stämmen, alt und knorrig ragte sie in
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