Im Herzen des Kometen
auch einer der stärksten Männer, die Saul je gekannt hatte. Vor drei Tagen erst hatte er Gelegenheit gehabt, den stämmigen Hawaiianer in Aktion zu sehen, als es oben in Ebene B zu einem Stolleneinbruch gekommen war.
Eine besonders unangenehme Art von koloniebildenden Lebewesen hatte im Versorgungsschacht, der zur Luftschleuse 1 führte, einen Brückenkopf gebildet. Eines der Kühlrohre zur Oberfläche, die den Zweck hatten, das Eis um die Schächte vor dem Schmelzen zu bewahren, war im Bereich einer durchbrochenen Isolation nahezu verstopft von einer ockerfarbenen Masse, die Formen gleich einer Seeanemone ausgebildet hatte.
Kurz nachdem in allen Stollen die Alarmsignale ertönt waren, hatten Saul und Keoki die B-Ebene erreicht und waren von den lauten Schreien eines Arbeitstrupps zum Unglücksstollen gelockt worden. Schrecklicher als alles andere war das Knirschen und Ächzen des einbrechenden Eises. Das Kabel, an dem Saul und Keoki sich entlanggezogen hatten, riß los und peitschte wie eine gequälte Schlange die Luft und schleuderte ihn im selben Augenblick fort, als ein Block aus dunklem, kristallinem Material durch das gehärtete Fibergewebe der Wandverkleidung brach und die Seite des Stollens aufriß.
Keoki Anuenue faßte den hilflos treibenden Saul und drückte ihn in eine sichere Nische, dann wandte er sich ab und sprang auf den glitzernden Steinblock zu, hinter dem sieben Männer und Frauen lebend oder tot im eingestürzten Stollen gefangen waren. Sie hatten bestenfalls Minuten. Ohne einen Augenblick zu zögern, tat Keoki das einzige, was er konnte.
Er stemmte den Rücken gegen die Innenverkleidung der anderen Seite, pflanzte die Füße gegen den Felsblock und spannte alle Kräfte an.
Der Block allein mußte eine Masse von hundert Tonnen gehabt haben, nicht gerechnet der nachdrückende Schutt. Die Anstrengung trieb Keoki die Augen aus den Höhlen, aber der Block kam zum Stillstand.
Ein feuchtkalter, stinkender Hauch strömte durch die Öffnung in den Stollen ein. Des Hawaiianers Gesicht war schweißüberströmt, seine Nackenmuskeln traten wie Stricke hervor. Saul blieb keine Zeit zum Überlegen. Er stieß sich durch die enge Öffnung, die der andere freihielt.
Penetranter Mandelgeruch mischte sich in den Gestank, der die Luft im Stollen erfüllte. Wenn der Stolleneinbruch die Schutzanzüge des Arbeitstrupps aufgerissen hatte, würden auch die Cyanuten im Blutkreislauf der Leute keinen Schutz gegen die konzentrierten Cyanverbindungen bieten, die durch den Einsturz freigesetzt worden waren.
Saul folgte dem Lichtkegel der Stirnlampe durch Wolken aus Dampf und Staub, stolperte über Schutt und versuchte, nicht an den Mann hinter ihm zu denken, der sich dem Riesen Atlas gleich gegen eine Gesteinsmasse stemmte, die auf Erden jedes Gebäude zermalmt hätte und selbst bei einem halben Tausendstel der Erdschwere gewaltig genug war.
So begann ein höllischer Wettlauf mit der Zeit, um die Überlebenden zu finden und aus der Gefahrenzone zu ziehen. Niemand konnte Saul hinterher sagen, wie lange die schwere Prüfung dauerte. Er wußte nur, daß Keoki Anuenue hätte nachlassen können, nachdem einer, oder zwei, oder drei geborgen waren.
Aber Keoki tat es nicht. Wie ein aus Stein gemeißelter Atlas hielt er den gewaltigen Urblock, bis Saul sich vergewissert hatte, daß die letzten zwei Eingeschlossenen tot waren, und erst nachdem Saul die Gefahrenstelle passiert hatte, gab der schweigende Gigant langsam nach und löste sich geschickt von der knirschend nachdrückenden Masse. Augenblicke später kam ein Hilfstrupp mit Bergungsgerät den Schacht herauf.
Alles, was Keoki gesagt hatte, als der Trupp mit seinen Maschinen sich daran machte, den Stollen freizuräumen, war ein gemurmelter Satz, an den Saul sich so klar erinnerte wie an seinen eigenen Namen:
»Ua luhi loa au…«
Seltsame, magische Worte, ein Satz, der von geheimen Kräften sprach, von den Mysterien exotischer Götter.
Später erzählte ihm Virginia, daß er einfach lautete: »Ich bin sehr müde.«
Keoki wandte den Blick von seinem Kontrollschirm und gab Saul ein Zeichen. Das Therapieprogramm hatte begonnen.
Ein ovaler Lichtfleck, ungefähr acht mal fünf Zentimeter, erschien auf der Rückseite von Marguerite van Zoons rechtem Oberschenkel – nur ein weicher Abtaststrahl, der die Stelle markierte, die jetzt unter der Einwirkung der unsichtbaren, fein modulierten Mikrowellen des Behandlungsgerätes lag.
Die Methode war sehr viel schwieriger
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