Im Herzen Rein
Haar aus der Stirn und rieb die Hände aneinander. Dann erklärte er: »Während ich die Handschrift ebenso als zwanghaftes Verhalten definiere wie das FBI, weiche ich in einem anderen, entscheidenden Punkt vollkommen von den Amerikanern ab: in der Erklärung, wodurch dieses zwanghafte Verhalten verursacht wird. Die Überzeugung des FBI beruht auf der Annahme, die Sozialisation habe den größten Einfluss auf den Täter - also sein brutaler Vater oder seine böse Mutter. Für mich hingegen liegt die Ursache in den Genen, in einer genetischen Anomalie. Ich sage, ein Serienmörder wird schon als Serienmörder geboren. Er ist es schon vor seiner Geburt.«
Das Team schwieg. Die These war schockierend.
»Dann wäre ja wohl ein Todesschuss die beste Form der Verhaftung eines Serienkillers«, sagte Max.
»Kann man diesen genetischen Defekt feststellen?«, fragte Tommi.
»Kann man nicht. Noch nicht«, sagte Bach. »Es ist erst einmal nur eine Schlussfolgerung aus dem vielen Material, das ich kenne.«
»Es war immer auch meine Ansicht«, sagte Tommi, »dass viel mehr genetisch festliegt, als man denkt. Aber das ist verhängnisvoll. Wir erleben doch täglich, dass irgendein Gutachter - sorry, nichts gegen Sie - oder Richter die Freilassung besorgt, und damit ist das nächste Opfer dran. Dieser Tätertyp A schändet und foltert, wir müssen einen DNA-Vergleichstest an zig Personen durchführen, extrem teuer, der Steuerzahler zahlt die Rechnung, aber die einzige Chance, ein Leiden auf beiden Seiten abzukürzen, liegt in der Verhaftung. Und offen gestanden - da gebe ich Max recht - würde ich nicht lange zögern, so einem Kerl in den Kopf zu schießen.«
Bach musterte ihn eine Sekunde. »Schießen Sie gut?«
Max und Waldi nickten und klatschten leise Beifall in Tommis Richtung. Paula wusste auch, dass Tommi ein exzellenter Schütze war, aber es hatte noch nie eine Situation vor Ort gegeben, in der er das beweisen musste. Er spricht über etwas, das er nicht kennt, dachte sie.
»Wird er die Nächste auch wieder mit einer Nadel umbringen?«, fragte Tommi. Paula ärgerte sich, dass er nicht beim Thema blieb. Aber seine Frage schien erst einmal den Druck rauszunehmen, der sich im Team aufgebaut hatte.
Bach antwortete direkt: »Der Stoß mit der Nadel ins Herz fügt sich so perfekt in das ästhetische Konzept, das der Ermordung folgt, dass ich ihn zum modus operandi rechne, also Täter B zuordne. B benutzt die Nadel mit der schmückenden roten Glasperle, weil es ästhetisch und zugleich hinterhältig ist. Es ist die Subversität, nach der die Kunst immer strebt. Es ist nicht die zwanghafte Mordweise eines Kranken.«
»Was für ein Typ ist so einer?«, fragte Ulla.
»Seine Persönlichkeit ist ausgereift und strukturiert. Er beherrscht Planung und Organisation in einer hoch qualifizierten Weise. Er ist intelligent und bereitet seine Arbeiten sorgfältig vor. Sein Beruf hat einen hohen theoretischen Anteil. Er könnte Architekt sein, Ingenieur, Lehrer, jemand, der konkrete Projekte durchführt, ein Marketingstratege, ein Arzt. Posch vermutet, dass der Täter ein Arzt ist.«
»Auch wenn er kein Arzt ist«, meldete sich Waldi, der den Obduktionsbericht vor sich liegen hatte, »müsste er auf jeden Fall medizinische Kenntnisse haben. Diese Sache mit der Leichenstarre so genau hinzukriegen klappt nicht ohne Erfahrungen auf medizinischem Gebiet.«
»Zweifellos«, sagte Bach.
»Aber ist es nicht oft so«, fragte Tommi, »dass Serienkiller in ihrer Kindheit schwere Gewalt erlitten haben und wir darauf bei möglichen Verdächtigen auch ein Auge haben sollten?«
Bach lachte. »Ich würde nicht sagen, dass jemand aufgrund einer überfürsorglichen Mutter oder eines gewalttätigen Vaters im Alter von zwanzig bis dreißig zum Serienmörder wird. Aber ein extrem hoher Prozentsatz der Serienkiller hat tatsächlich in der Kindheit Gewalt erlitten, viele von ihnen waren Bettnässer und Tierquäler, meistens hatten sie eine überfürsorgliche Mutter und einen gewalttätigen Vater. Nur ist das nicht die Ursache , dass sie zu Mord-Wiederholern werden.«
»Wie würden Sie das typische Profil unseres Killertyps A beschreiben?«
»Er passt nicht in die üblichen Entwicklungstheorien eines Freud oder Kohut. Aber er ist auch kein Psychopath, wie es die Massenmörder sind. Er ist sicher ein Mann, etwa zwischen fünfundzwanzig und fünfunddreißig, kinderlos. Wahrscheinlich lebt er allein oder mit einer dominanten Frau. Seine Intelligenz liegt
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