Im Herzen Rein
Bügel hing. Sie fragte sich, ob Heiliger das für sie bestimmt hatte. Sie war so auf ihn als Täter ausgerichtet, dass sie alles nur aus diesem Blickwinkel gesehen hatte.
»Gemalt hat Heiliger in diesem Atelier nicht«, sagte sie gepresst.
»Sieht nicht so aus«, bestätigte Hubertus. »Hier hat er Happenings veranstaltet - um in seinem Kunstvokabular zu bleiben. Allerdings unter Ausschluss der Öffentlichkeit.« Er ging auf den Stahlschrank zu. »Schau mal, was ich entdeckt habe.« Er rollte den Schrank zur Seite und zeigte auf eine Bodenplatte. Er hievte sie an dem herausklappbaren Griff hoch, und Chris sah Stufen, die in den Keller führten.
»Geh mal runter«, forderte er sie auf, »ist interessant.«
Zögernd machte sie ein paar Schritte. »Ist das sein Kinderkeller?«, fragte sie mit belegter Stimme und dachte an den FBI-Fall, von dem Bach im Zusammenhang mit der Barbiepuppe berichtet hatte.
»Habe ich das nicht vorhergesagt?« In seiner Stimme schien beleidigter Ehrgeiz mitzuklingen. Sie erschrak, als sie im Keller den Käfig mit der Pritsche sah. Die Tür war offen. Ihr war klar, dass Johanna Frenzi bis zu ihrer Ermordung hier eingesperrt gewesen war.
»Den muss ihm jemand gebaut haben«, überlegte sie laut.
»Wahrscheinlich hat er es selbst gemacht. Oben steht ja ein Schweißgerät.«
»Mit Metallringen an den Stromkabeln. Grauenhaft.«
»Weiß Gott«, stimmte er zu.
Sie ging nicht in die Nähe des Käfigs, sondern blieb an der Kellertreppe stehen. »Gehen wir wieder hoch«, sagte sie.
Er nahm immer zwei Stufen auf einmal und war oben.
Sie sah, dass er die schwere Eisenklappe in der Hand hatte. »Lass sie bloß nicht fallen.«
Er bückte sich und griff ihr mit der freien Hand unter den Ellbogen. Und dabei hatte sie sogar noch gedacht: Er ist immer Kavalier. Sie machte einen großen letzten Schritt und war froh, wieder oben zu sein. »Damit wird Heiliger verurteilt. Ich rufe jetzt Paula an, damit sie mit der Spurensicherung kommt.«
»Ja. Nach der Kinovorstellung.«
»Welche Kinovorstellung?«
»Ich spiele dir ein Video vor, das du unbedingt sehen musst. Setz dich aufs Bett.«
Auf dem Monitor erschien der Käfig im Keller. Auf der Pritsche lagen Decken und darunter eine Frau. Sie sprang auf, umklammerte die Gitterstäbe, und man sah sie schreien. Doch man hörte es nicht, weil die Aufnahme ohne Ton war. Dann legte sie sich zurück auf die Pritsche.
»Johanna Frenzi«, sagte Chris. Ihr wurde übel. Jetzt sah sie eine Männerhand auf dem Bildschirm. Sie wirkte bedrohlich. Sie hatte das Gefühl, diese Hand könnte aus dem Viereck des Bildschirms verschwinden und der Mann im nächsten Moment aus dem Keller heraufkommen und nach ihr greifen.
Die Hand umfasste jetzt einen Gitterstab, und dabei wurde das Handgelenk mit der Uhr sichtbar.
Sie sah hin, um zu erkennen, wie spät es auf der Uhr war, auf dem achteckigen Ziffernblatt, das von acht kleinen Schrauben festgehalten war. Die Ziffern waren einfach gerade Striche. Auf der Uhr war es 17.43 Uhr. Die gleiche Zeit wie jetzt, überlegte sie. Unwillkürlich blickte sie auf Hubertus’ Arm neben ihr. Auf seiner Uhr war es eine Stunde später, aber die Zeigerstellung war so ähnlich, dass sie für einen Moment glaubte, der Film werde live aufgenommen - wie bei den Überwachungskameras in den Banken.
Im nächsten Moment schoss ihr ein Adrenalinstoß durch den Körper, als sie bemerkte, dass die Uhren identisch waren. Im Film und am Handgelenk von Hubertus: Das war dieselbe Uhr!
Plötzlich brannte es lichterloh in ihr. Sie wollte es nicht glauben, wusste aber, dass sie die Wahrheit erkannt hatte. Sie saß in der Falle und versuchte, ihren Schock zu verbergen. Sie wollte weiterhin ahnungslos wirken und wagte nicht zu sprechen, aus Angst, dass ihre Stimme zittern könnte. Verstohlen sah sie ihn aus den Augenwinkeln an.
»Das ist eine Royal Oak.« Er hielt ihr seine Uhr hin und lächelte. »Nummer dreiundsiebzig. Eine der ersten.«
Sie hatte so sehr auf eine Erklärung gehofft, die alles auflösen und ihr die erstickende Angst nehmen würde. Sie zwang sich, sachlich zu sprechen. »Wir sollten Paula anrufen.«
»Das ist nicht nötig«, antwortete er. »Ich habe heute Morgen mit ihr eine lange Besprechung gehabt. Sie lässt dich grüßen.«
Er sprach in ganz normalem Ton. Vielleicht würde sich der Spuk doch noch auflösen?
»Aber ich kann ja mal sehen, was bei mir drauf ist.« Er hörte seine Mailbox ab, stellte das Handy wieder aus und steckte es
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