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Im Herzen Rein

Im Herzen Rein

Titel: Im Herzen Rein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Vanoni
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er sie aus der belebten Innenstadt mitgenommen. Wenn er sie schon länger kannte, war das kein Problem, und dann würde sie in der Wohnung vielleicht Spuren von ihm entdecken. Sollte sie aber nur eine Beute für ihn als Raubtier gewesen sein, könnte er sie auch einmal oder mehrere Male vorher kontaktiert haben, um eine Vertrauensebene aufzubauen. Der nette Bewohner aus demselben Haus, ein freundlicher Nachbar, den sie immer am Kiosk getroffen hatte, jemand, der ihr schon zum dritten Mal zufälligerweise im Kino begegnet war, oder eine Bekanntschaft aus dem Internet, mit der sie sich angefreundet hatte, der sie aber persönlich noch nicht begegnet war. Paula wollte herausfinden, was für ein Typ sie gewesen war. Wie war ihr Bad? Welches Make-up nahm sie? Welche Schuhe trug sie, welches Bettzeug hatte sie, welches Parfum benutzte sie, und wie roch es in ihrer Wohnung? War sie auf die Farbe Blau fixiert, war sie ordentlich und gut organisiert oder ein chaotischer Mensch, bei dem alles durcheinanderflog? Jedes Detail konnte ihr Hinweise geben und eine erste Idee für die Ermittlung bringen. Jedenfalls, wenn sie nicht abgelenkt war.
    Marius hatte die ganze Zeit ruhig dagesessen, nicht einmal das Radio angestellt und nach einem Sender gesucht, wie er es sonst immer tat. Er trug Jeans und eine seiner drei Lederjacken. Er behauptete, er trage nichts anderes als Lederjacken, weil sie so robust waren.
    Sie konnte seinen typischen Geruch wahrnehmen, nach Leder und Seife. Selbst sein Rasierwasser ging in diese Richtung. Sie mochte diesen Geruch immer schon, und inzwischen war er ihr vertraut. Im Moment verwirrte er leicht ihre Sinne. Ihr Hals war trocken. Sie würde sich auf keinen Fall in erotischen Treibsand begeben.
    Jemand rannte ihr fast ins Auto, sie drückte sofort auf die Hupe, dreimal kräftig. Der Mann sprang zurück und drohte. Ihr Herz klopfte.
    Marius sagte mit seiner tiefen Stimme: »Alles gut gegangen.«
    Der Tonfall erinnerte sie an Nächte, die sie eng umschlungen verbracht hatten. Erinnern darf man sich ja mal kurz, ausnahmsweise, beruhigte sie sich.
     
    Marius öffnete die Wohnungstür, während Paula Justus anrief. Die Spurenexperten würden in einer Stunde anrücken. Das gab ihr Zeit, sich in Ruhe umzusehen.
    Im Büro von Silvia Arndt, in dem sie noch vor der Wohnung waren, hatten sie erfahren, dass sie in Berlin keine Stelle als Bibliothekarin gefunden und stattdessen in der Firma in der Bundesallee gearbeitet hatte, wo sie die Akten und andere Informationen digitalisierte und zur Langzeitspeicherung auf Mikrofilm spielte. Vor zwei Jahren war Silvia Arndt aus Flensburg gekommen, nachdem ihre Mutter an Krebs gestorben war und ihr Vater wenig später einen tödlichen Autounfall gehabt hatte. Warum gerade Berlin, wusste keiner der Kollegen. Sie hatte wenig geredet und ihre Arbeit sorgfältig und ohne Beanstandung gemacht. Von ihrem Arbeitsplatz bis zu ihr nach Hause in der Sigmaringer Straße waren es nur zwei U-Bahn-Stationen.
    Langsam ging Paula den Flur entlang und durch die Zimmer. Auf den ersten Blick war nichts Auffälliges zu erkennen. In der Küche standen zwei Teller in der Spüle, wohl vom Frühstück und Abendbrot. Im Bad lag ein Handtuch auf dem Boden, und Paula fragte sich, ob das auf Eile hindeutete, denn sonst war die Wohnung äußerst ordentlich. Die Wäsche in der Maschine hatte Silvia Arndt wohl nach dem Kino aus der Trommel nehmen wollen. Sie wolle sich einen »romantischen Film im Filmpalast« ansehen, hatte sie ihrer Kollegin im Büro gesagt. Auf dem Stuhl neben dem Bett, das ordentlich gemacht war, lagen die Sachen, die die Kollegin beschrieben hatte, Jeans und eine rosa Bluse. Sie hatte sich also umgezogen, bevor sie ins Kino gegangen war. Der Kleiderwechsel könnte bedeuten, dass sie verabredet gewesen war.
    Als Justus, Max und die Mitarbeiter der Spurensuche eintrafen, sagte Paula: »Die Bettwäsche geht zur Kriminaltechnik, auch die beiden Teller mit Besteck in der Spüle. Und sämtliche Hausbewohner müssen befragt werden.«
    »Alles heute?«, knurrte Justus.
    »Wenn du es nicht schaffst, fordere noch Leute an. Der Fall knallt uns jetzt schon um die Ohren, wenn du mal einen Blick in die Presse wirfst.«
     
    Als sie wieder im Auto saßen, diesmal Marius am Steuer, sagte er beiläufig: »Im Filmpalast läuft noch derselbe Film. Wie wär’s, wenn wir ihn uns ansehen?«
    Sie warf ihm einen spöttischen Blick zu. »Gute Idee. Wir fahren jetzt gleich zum Kino«, sie zwinkerte ihm zu,

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