Im Himmel ist die Hölle los
gehen ließen, ohne wenigstens versucht zu haben, ihn aufzuhalten.«
»Dann hätten wir ihn in der Stunde der Not im Stich gelassen«, fügte Großmutter hinzu. »Zu schlechten Nachbarn würde uns das machen.«
Helga senkte den Kopf und spähte aus dem Fenster. Da die unsagbar malerischen bleigefaßten Scheiben vor antiquarischem Alter derart blind geworden waren, daß sich das Licht erst nach schwerem Kampf durch sie hindurchzuzwängen vermochte, war es nicht einfach, einen Blick nach draußen zu werfen.
»Beeilt euch!« bat sie ängstlich. »Er hat aufgehört, weitere Äpfel zu suchen, um damit den kleinen braunen Hund zu bewerfen. Wenn ihr euch beeilt, holt ihr ihn vielleicht gerade noch ein.«
Also stürmten Großmutter und Großvater und Urgroßmutter und Minuschka und der faule Olaf und der kleine Thorsten aus dem Haus hinaus auf den Hügel, wo Björn gerade sorgfältig mit einem aerodynamisch geeigneten Granny Smith nach dem Hund zielte.
»Nachbar …«, keuchte Großvater und verschnaufte kurz. »Nachbar Björn, du hast doch wohl nicht vor, uns zu verlassen, ohne wenigstens auf Wiedersehen zu sagen?«
»Auf Wiedersehen«, entgegnete Björn. »Zufrieden?« Er warf mit dem Apfel, und endlich verstand der kleine braune Hund den Hinweis und zog sich humpelnd in den Holzschuppen zurück. Björn hob sein Gepäck auf.
»Aber wieso?« wollte der kleine Thorsten wissen. »Bist du hier nicht glücklich gewesen, Nachbar Björn?«
»Nein.«
»Wo gehst du hin? Was wirst du tun?« jammerte Großmutter.
Einen Moment lang dachte Björn nach. »Zuerst werde ich die nächste Stadt suchen, die eine halbwegs anständige Kneipe und ein Kino hat, in dem schmutzige Filme laufen«, antwortete er. »Danach will ich …«
»Warum will er sich denn schmutzige Filme ansehen, Oma?«
»Pst, Thorsten.«
»Ja, aber Oma, wenn der Film ganz schmutzig ist, dann sind doch alle Bilder ganz verschwommen und …«
»Pssst!«
»Und danach will ich herausfinden, was mit der Sonne los ist«, fuhr Björn fort. »In Ordnung?«
Die Dorfbewohner starrten ihn an, als sei er übergeschnappt.
»Wie meinst du das, Nachbar Björn?« fragte der faule Olaf langsam. »Das ist die Sonne, und damit hat’s sich. Mit der ist alles in Ordnung, sieh doch!«
Er drehte sich um und deutete in den Himmel. Zufällig hatte sich gerade eine Wolkendecke vor die Sonne geschoben.
»Siehst du das?« fragte Björn. »Da, wo ich herkomme, nennen wir so was Verschleierung. Irgend jemand hat den absoluten Obermist gebaut, und das wird jetzt kaschiert.«
»Kann sein«, mischte sich Großvater ein. »Vielleicht bedeutet das aber auch nur, daß es bald regnet. Regen ist eine gute Sache, Nachbar Björn. Er bringt die Früchte des Feldes zum Wachsen, nährt die kleinen Sämlinge und …«
»Jaja, ich weiß«, schnitt ihm Björn ungeduldig das Wort ab. »Schließlich habe ich das Zeug früher selbst niedergehen lassen, klar? Und darüber, wie wir das normalerweise angestellt haben, könnte ich dir Sachen erzählen, da stünden dir die Haare zu Berge«, fügte er hinzu. »Hört mal, glaubt es mir einfach, okay? Das ist nicht die echte Sonne. Der echten Sonne ist irgendwas zugestoßen, und was immer die da an den Himmel gehievt haben, ist nur ein Ersatz, alles klar? Alles klar.«
Er drehte sich brüsk um und zog weiter.
Der kleine Thorsten wischte sich eine Träne ab und wimmerte ihm hinterher: »Geh bitte nicht!«
Björn zögerte ein wenig und beschleunigte dann die Schritte, woraufhin der kleine Thorsten laut zu weinen begann.
»Bitte, bitte, geh nicht!« jammerte er mit tränenerstickter Stimme. »Auch wenn du manchmal mürrisch und schlecht gelaunt bist und nie jemandem zur Hand gehst und dich nie bedankst, wenn du von Tante Gretchen Pfannkuchen bekommst, und dich Mittwoch nachts betrinkst und dich überall vor den Haustüren anderer Leute erbrichst und grausam zu Tieren bist und auf die Blumen rings um die Dorfpumpe trampelst und nie in die Kirche gehst und drei Jahre lang keinen Beitrag zur Armenfürsorge geleistet hast und deinen Karren auf Onkel Gustavs Parkplatz abstellst und das Essen stiehlst, das wir für den armen blinden Jungen vor die Tür stellen, und beim Domino schummelst und völlig ohne Grund Omas Kirschbaum gefällt und sie auf ihre Beschwerde hin mit unflätigen Ausdrücken beschimpft hast und sämtliche Vorgärten mit leeren Kartoffelchipstüten verschandelst und einmal auf meinem Schaukelpferd herumgetrampelt und mich ausgelacht hast, als
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