Im Himmel mit Ben: Roman (German Edition)
den altertümlichen Fahrstuhl sehe, vor dem einige Leute warten, bleibe ich mit offenem Mund stehen.
»Komm«, drängelt Ruby und rückt weiter in der Reihe vor, »wir sind gleich dran.« Als es soweit ist, springt er mit einem Satz in die nächste leere Kabine. Wie angewurzelt bleibe ich mit offenem Mund stehen.
»Marly!« Auffordernd streckt Ruby seinen Arm nach mir aus – ich greife zu und hüpfe zu ihm nach oben.
Im Paternoster betrachte ich etwas genauer den Mann neben mir, der mir so seltsam bekannt vorkommt. Er hat ganz wundervolle, sanfte Augen. Seine Haare sind braun, aber an den Schläfen entdecke ich erste graue Haare. Er trägt eine ausgewaschene Jeans und ein schlichtes schwarzes Hemd. Woher kenne ich ihn nur? Und warum fühle ich mich in seiner Nähe so wohl?
»Wir sind jeden Moment da«, erklärt Ruby, und auf einmal weiß ich, wo ich ihn schon einmal gesehen habe.
Es ist der Mann aus dem Spiegel. Der in meinem eigenartigen Traum den Platz von Nathalie eingenommen hat.
»Kann man von seinen Träumen träumen?«, frage ich. »Ich meine, träume ich gerade davon, dass ich dich schon mal in einem Traum gesehen habe?«
Ruby lacht leise vor sich hin, antwortet aber nicht auf meine Frage. »Achtung, hinaus jetzt«, sagt er auf einmal und schubst mich sachte nach draußen.
Irritiert schaue ich mich um. Ich stehe in einer wunderschönen Gegend, weit und breit nur grüne Wiesen und sanfte Hügel. Eine frische Brise weht um meine Nase, und es riecht herrlich nach Salz und Meer. Ich atme tief ein, dann gehe ich einer inneren Stimme folgend die Straße entlang auf ein Haus zu, das einsam vor mir in der Landschaft steht.
19
Heißt das, ich bin ein Hauptgewinn?
Vor dem Haus steht jemand und winkt mir zu. Es ist ein Mann, und seine roten, lockigen Haare leuchten in der Sonne. Durch das warme Licht wirken sie fast kupferfarben.
»Marly!«, ruft er. »Marly!«
»Ben?«
Überwältigt bleibe ich in einiger Entfernung stehen. Aber schon einen Moment später laufe ich los, genau in Bens Arme. Übermütig dreht Ben sich mit mir im Kreis. Dann hält er inne, um mich fest an sich zu ziehen.
»Du bist hier«, sagt Ben. »Du hast dich ins Flugzeug gesetzt und bist tatsächlich hierhergekommen.«
Ich lache und weine gleichzeitig. Und zwischendurch schiebe ich Ben immer wieder auf Armeslänge weg von mir, um mich davon zu überzeugen, dass er es auch wirklich ist.
»Die neue Frisur steht dir gut«, sagt Ben lächelnd, als ich mich wieder einigermaßen gefangen habe. »Sieht richtig frech aus. – Wo ist denn dein Gepäck? Du bist doch bestimmt nicht ohne geflogen, oder?«
Ich schaue zurück, aber Ruby ist nicht mehr da. »Das hat der Typ an sich genommen, der mich vom Flughafen abgeholt hat. Ich habe in der Aufregung gar nicht mehr daran gedacht.«
»Ruby hat vergessen, dir deinen Koffer zu geben? Typisch! Na ja, komm erst einmal rein, das können wir auch noch später klären.«
Über der Eingangstür steht ein Schild, auf das in schwungvollen Buchstaben Heaven’s pub geschrieben steht. Die Anfangsbuchstaben sind dabei außergewöhnlich lang nach oben und unten gezogen. Wie eben aus Bens Feder.
»Du hast einen Pub?«
»Ja, einen ziemlich gut laufenden sogar. Die Schutzengel brauchen auch einen Ort, wo sie ihren Kummer mal vergessen können. Die Arbeit unten auf der Erde ist sehr anstrengend.«
»Du veräppelst mich …«
»Nein.«
»Und ich träume auch nicht?«
»Nein, du träumst nicht.«
»Ganz ehrlich?«
»Ja.«
»Dann bin ich … wirklich im Himmel?«
»Ja, Marly, das bist du. Und es war echt schwer, dich hierher zu bekommen …«
Ben ist tatsächlich gestorben. Seine Zeit war abgelaufen, und ich hätte nichts dagegen unternehmen können.
Ein Begleitengel hat ihn nach oben in den Zwischenhimmel gebracht. Dort musste Ben sich für seinen persönlichen Himmel entscheiden. So, wie er es erzählt, hört es sich an, als sei er einfach umgezogen.
»Aber es war gar nicht so einfach. Ich wollte am liebsten sofort wieder zurück und einfach weiterleben wie bisher, aber das ging natürlich nicht. Also habe ich mich für einen Himmel auf Erden entschieden. Viele, denen es unten gut gefallen hat, machen das so.«
»Und die anderen?«
»Ganz verschieden, jeder Himmel sieht anders aus. Aber wie, weiß ich nicht. Ich soll dich übrigens von deiner Oma grüßen. Du wirst sie die Tage mal sehen.«
»Meine Oma?«, frage ich mit großen Augen.
»Ja, sie hat mich besucht. Ich hab sie erst gar nicht
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