Im Himmel mit Ben: Roman (German Edition)
aufgerissenen Augen anstarrt, wie ich jetzt sehen kann. Aber es kommt noch schlimmer. Das Publikum buht mich nicht etwa aus, es applaudiert und treibt mich zu immer schrägeren Behauptungen. Fulminant beende ich meinen Auftritt vor dem holländischen Publikum, indem ich laut und sehr theatralisch rufe: »Ihr habt gut lachen, und was habe ich? Einen paranoiden Zeigefinger!« Schnitt.
»Ich war nicht Herr meiner Sinne!«, verteidige ich mich lachend, und auch Ben kriegt sich kaum noch ein.
»Soll ich dir eine Kopie davon machen?«, sagt er glucksend. »Dann kannst du den Film irgendwann deinen Kindern zeigen – wenn sie alt genug dafür sind, das zu verkraften.«
Aber der Film ist noch nicht vorbei. In der nächsten Einstellung liege ich im Bett des Hotelzimmers. Ben sitzt neben mir und streichelt über meinen Kopf.
»Kann ich noch etwas für dich tun?«, fragt er.
»Oh ja, ein großes Glas eiskalte Milch wäre jetzt nicht schlecht.«
Nur kurz darauf sieht man, wie Ben die Straße entlangläuft und von einer Kneipe in die nächste geht. Als er aus der dritten wieder herauskommt, balanciert er vorsichtig ein volles Glas Milch zwischen seinen Händen.
»Das wusste ich ja gar nicht«, stelle ich verblüfft fest.
»Tja, du warst ja auch so platt, dass du schon tief und fest geschlafen hast, als ich damals zurück ins Zimmer gekommen bin. Also habe ich die Milch selbst ausgetrunken.«
Am nächsten Morgen ging es mir wieder relativ gut. Mir war zwar etwas übel, aber zumindest hatte ich keine Kopfschmerzen mehr. Nach einer großen Tasse Kaffee, die Ben mir ans Bett gebracht hatte, und einer kalten Dusche konnte ich wieder einigermaßen klar denken. Ich weiß noch, dass wir an diesem Tag planten, den Hippiemarkt und Madame Tussauds Wachsfigurenkabinett zu besuchen.
Der Filmausschnitt endet jedoch mit der Szene, in der Ben für mich die Milch organisiert. Die Bilder verschwimmen zu einer grauen Einheit und rauschen ein Weilchen vor sich hin, bis wieder neue bunte Buchstaben auf dem Schirm erscheinen.
2. Treffen vor acht Jahren: Düsseldorf
Es ist dunkel, und ich stehe mit Ben an einer Straßenecke unter einer Laterne, die die Straße hell beleuchtet. Ich bin neunzehn Jahre alt. Meine bunten, geflochtenen Zöpfchen sind verschwunden, meine Haare sind zu einem schlichten Pferdeschwanz gebunden, der hinten aus einer Baseballkappe herausragt. Ich trage Jeans, ein gestreiftes Shirt und eine graue Sweatshirtjacke mit Kapuze.
Ben trägt Jeans und ein schlichtes, schwarzes T-Shirt. Er sieht auch das Jahr darauf immer noch aus wie heute, der gleiche Stil, nur einfach jünger.
Ich habe zu dieser Zeit in Düsseldorf studiert, Ben in München. Dort hat er sich gleich im ersten Semester in eine Studentin mit dem wohlklingenden Namen Katharina von Pempelfort verliebt. Und Ben wollte ihr etwas ganz Besonderes schenken.
»Das war der Abend, an dem du deine Lady Pempelfort beeindrucken wolltest«, erkläre ich. »Mann, hatte ich einen Bammel …«
Gespannt schaue ich auf den Bildschirm und erlebe noch einmal, wie Ben sich mit einer ganzen Ladung Werkzeug an dem Ortsschild zu schaffen macht. Pempelfort ist nämlich auch ein Stadtteil von Düsseldorf. Ich stehe Schmiere, die Hände tief in die Hosentaschen vergraben, und trete von einem Bein auf das andere.
»Marly«, sagt Ben, »du musst das Schild jetzt festhalten. Stell dich auf den Werkzeugkoffer, okay?«
Gesagt, getan … Ich greife nach dem gelben Schild, Ben schraubt, unsere Beute fängt an zu wackeln – und ich auch. Kurz darauf falle ich mit einem Plumps auf den Boden und halte mir den linken Knöchel. Als ich versuche aufzustehen, zucke ich schmerzerfüllt zusammen.
Ben runzelt die Stirn. »Bestimmt verstaucht. Am besten, du bleibst hier, und ich hole das Auto.«
Unser Fluchtfahrzeug haben wir ein ganzes Stück weit weg geparkt, damit niemand die Nummer aufschreiben kann, falls wir beobachtet werden sollten. Ben rennt los, und als endlich ein Auto um die Ecke kommt, atme ich erleichtert auf. Aber es ist nicht Ben, sondern ein Polizeifahrzeug, aus dem zwei uniformierte Beamten aussteigen. »Na, junge Dame, was veranstalten wir denn hier?«, fragt der eine.
Dann wird der Film wieder ausgeblendet.
In der nächsten Einstellung sieht man mich auf dem Polizeirevier sitzen. Die beiden Polizisten fragen mich, wer mein Komplize gewesen sei, doch ich beharre darauf, dass ich das Schild alleine abmontiert habe – für meinen besten Freund, der zu feige gewesen sei, das
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