Im Hyperraum
ihr leichter, mit einem Alien Kameradschaft zu pflegen als mit einem
Menschen, und dies empfand sie wiederum als beängstigend. Obwohl sie
miteinander übereinstimmten, scheute sie davor zurück, über bestimmte
Dinge mit ihm zu reden ⦠zum Beispiel über Highwing. Sie vermutete,
dass Ar die Vorstellung, es gäbe lebende Drachen im Flux, schlichtweg
ablehnte. Mehrmals wich er geschickt von diesem Thema ab oder versank
in eine Träumerei, wobei er dann clendornanische Lieder summte.
Er glaubte eindeutig nicht, dass ihre Erlebnisse real gewesen waren, obwohl er die Auswirkung ihrer vermeintlichen Erfahrung auf ihr Leben recht hoch einschätzte. SchlieÃlich gab sie den
Versuch auf, ihn zu überzeugen, und im Verlauf der Reise wurden ihre
Erinnerungen an das Reich der Drachen immer vager, bis sie selbst an
der Echtheit ihrer Wahrnehmungen zweifelte. Allein in ihrer Kabine,
dachte sie oft an Highwing, doch die Gedanken nahmen allmählich einen
traumhaften Charakter an.
Eine Sorge plagte sie nicht,
und dafür war sie dankbar. Ihre Freundschaft mit Ar würde niemals
sexuelle Intimitäten einbeziehen. Vom Körperlichen her waren eine
menschliche Frau und ein clendornanischer Mann kompatibel, einem
Geschlechtsakt stand nichts im Wege. Doch es fehlte der Trieb, der
Wunsch nach sexueller Erfüllung. Vielleicht stimmte die Biochemie
nicht, vielleicht lag es an etwas ganz anderem. Jedenfalls war sie
froh, dass in diesem Punkt keine Komplikationen zu erwarten waren. Ihr
stand nicht einmal der Sinn nach einer intimen Beziehung mit einem
menschlichen Mann, selbst wenn ein geeigneter Partner zugegen gewesen
wäre. Sie war voll und ganz damit zufrieden, viele Stunden mit Ar zu
verbringen, zu wissen, dass das Band, das sich zwischen ihnen
entwickelte, eher geistiger als körperlicher Natur war.
Erst
als sie bereits eine beträchtliche Strecke zurückgelegt hatten,
überlegte sie ernsthaft, ob sie Ed aus seinem cybernetischen Käfig
befreien sollte. Da sie nicht wusste, wie sich Ed im Netz entpuppen
würde, wartete sie, bis sie und Ar ihren Flugrhythmus gefunden hatten,
kleinere Unstimmigkeiten im Stil ausgleichen konnten und sich Flaires
Vertrauen in ihre Fähigkeiten als Rigger verdient hatten. Doch am
vierten Tag Bordzeit wagte sie den VorstoÃ.
Ich habe nichts dagegen, erwiderte Ar. Aber wird er mit dieser Landschaft etwas anzufangen wissen? Sie hatten die Form von Vögeln mit riesigen Schwingen angenommen und
kreisten hoch über einer sanft gewellten, mit gelegentlichen Flecken
von Buschwald durchsetzten Ebene.
Dann ändere sie in eine Gegend um, die ihm eher gefallen dürfte, während ich das Netz verlasse und ihn einlogge.
Ar
pflichtete ihr bei. Sie überlieà ihm das Fliegen und stieg aus dem
Netz. Sie hielt einen Moment lang inne und entspannte sich, indem sie
tief ein- und ausatmete. Sie und Ar hatten sich bereits daran gewöhnt,
in einander überlappenden Schichten zu arbeiten â manchmal flogen sie
gemeinsam, manchmal allein â deshalb bedurfte es keiner Eile. Als sie
fühlte, dass sie in ihren eigenen Körper zurückgekehrt war, kletterte
sie aus der Rigger-Station und begab sich in ihre Kabine.
Sie
nahm das Dateninterface, das Ed enthielt, und ging damit auf die
Brücke. Als sie sich in ihrer Station auf die Couch legte, suchte sie
über ihrem Kopf nach einer Anschlussbuchse für den
Rigger-Netz-Computer. Nachdem sie den transparenten Plastikstecker an
ihrem Datenspeicher inspiziert hatte, stöpselte sie ihn ein, dann
testete sie die Verbindung. Aber sie zögerte, ehe sie ins Netz
zurückkehrte. Sie freute sich auf ein Wiedersehen mit Ed, gewiss ⦠doch
gleichzeitig war sie ein bisschen nervös. Angenommen, etwas war während
des Einfangvorganges schief gelaufen? Oder hier missglückte etwas? Sie
fragte sich, ob sie Ed versehentlich löschen könnte, falls sie ihn
fehlerhaft einloggte?
Hör auf, dir Sorgen zu machen,
ermahnte sie sich. Das Schiff konnte auch leckschlagen, doch darüber
zerbrach sie sich gar nicht erst den Kopf.
Sie schloss
die Augen und lieà sich zurücksinken in das Bewusstsein des Flux. Die
Landschaft hatte sich drastisch verändert. Die Ebene mit dem lichten
Buschwald war verschwunden. Die Strömungen des Flux wälzten sich wie
breite, majestätische Flüsse dahin, eingetaucht in den Farbenrausch
eines prächtigen Sonnenuntergangs, der in allen Schattierungen
Weitere Kostenlose Bücher