Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Informationszeitalter

Im Informationszeitalter

Titel: Im Informationszeitalter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
Vom Netzwerk:
Otto
    Normalverbraucher verschiedene Arten von Genies machen. Persönlich leide ich darunter, da mir ähnliches dummes Zeug meinen Server versaut. Es ist wahr, dass es keine “elektronische Nase” gibt zur Trennung leerer Behauptungen von denen, die sich als Wahrheit erweisen, weswegen sich jeder von uns bei der Auswahl auf seine eigene Intuition verlassen muss.
    Ich kann ein konkretes Beispiel nennen, auf welche Weise eine solche Intuition funktionieren kann, wenn man sie besitzt. Die Genomanalysen haben deutlich gemacht, dass die Strukturgene, die die Synthese von bestimmten Eiweißstoffen erlauben, lediglich einige Prozent aller Gene einer Gattung ausmachen. Also hat man voreilig den Rest von über 90 Prozent als “Junk-DNA” getauft, also als Müll oder als Trittbrettfahrer, der nichts codiert. Mir erschien eine solche Disproportion bei den Genarten von Anfang an als unmöglich: etwas muss doch diesen “Müll” machen, dachte ich. Und in der Tat hat man neuerdings den Namen geändert. Es ist kein “Müll” mehr, sondern jetzt spricht man von “Mikrosatelliten-Genen”, die einen mittelbaren und dabei notwendigen Zweck haben: sie steuern nämlich nicht die Entstehung bestimmter Eiweißstoffe (z.B. Enzyme), sondern das Ergebnis ihrer Tätigkeit ist die Fortsetzung der Gesamtheit des Organismus. Als sie noch nicht verstanden haben, wozu dieser “Müll” dient, bezeichneten Russen diese Gene als Elemente der “Konzertevolution”, weil die langen ähnlichen oder der Zusammensetzung nach identischen Sequenzen sich in den Genomen wie Leitmotive in einer Sinfoniepartitur wiederholen. Natürlich ist die Voraussicht einer solchen Innovation von Meinungen, die auf Ergebnissen von Experimenten gründet, schwer und man kann kaum die “prognostische Intuition” als etwas verstehen, was sich lehren ließe. Dass da “nicht alles” eine
    Lügengeschichte    ist,    scheint    eine
    Selbstverständlichkeit zu sein, jedoch eine ebenso harte, wie eine schwer zu knackende Nuss.
    Kurz vor der Jahrhundertwende begannen sich vermehrt völlig    neue    kosmogonische    und
    kosmologische Hypothesen einzustellen, die nur schwer vom “gesunden Verstand” zu akzeptieren sind. Dieser Verstand wurde jedoch vor fast einer Million Jahren von den ersten Generationen in der Anthropogenese so gestaltet, dass er für das Begreifen des Ganzen nicht geeignet ist. Deswegen nannte ich die mathematischen Methoden, denen wir eine Menge von Umstürzen zu verdanken haben, den “weißen Stock eines Blinden”. Es scheint jetzt, dass wir nach vielen Versuchen der Bildung von menschenähnlichen Organismen, die zahlreiche Jahrtausende dauerten, aus den Primaten entstanden sind, d.h. aus der Suprafamilie der Hominoiden. Diese Suprafamilie umfasst Anthropoide und Hominide, aber ich bin mir nicht hundertprozentig sicher, dass jene von uns geschaffene Taxonomie unumstößlich bleiben wird. Gegenwärtig kann man die Unterschiede zwischen den Gattungen - Neandertaler - Pithekanthropus - Homo habilis - Homo sapiens u.ä. - dank neuer Verfahren einigermaßen genau untersuchen: das Genom lässt sich in Anlehnung an paläontologisch erhaltene, wenn auch versteinerte metamorphe Überreste ausgegrabener Skelette rekonstruieren, auch wenn es Spezialisten gibt,    die    die    Sicherheit    der
    Abstammungsunterscheidungen    ausschließlich
    aufgrund paläontologischer Daten bestreiten.
    Die Mathematik ist dennoch - nicht nur nach meiner Auffassung - keine Ermittlungsmethode, die fähig wäre, uns zur “definitiven Wahrheit” zu führen. Tatsächlich werden weder die 61 Elementarteilchen erklärt, da sie sich aus keiner einzigen Theorie
    “herausschälen” lassen und zuletzt auch das Neutrino “vervielfacht” wurde, z.B. gibt es bereits ein “Neutralino”. Noch weiß man nicht, ob die Suche nach einer einzigen Theorie eine Suche nach einer schwarzen Katze in einem dunklen Zimmer darstellt, wobei man nicht weiß, ob sich die Katze überhaupt dort aufhält. Auch das bereits klassische Modell der Kosmogonie mit dem Big Bang und der Phase der inflatorischen Ausdehnung ist Schwierigkeiten begegnet. Man kann am Rande des Ringens der Kosmologen mit der Problematik des “Anfangszustandes” bescheiden bemerken, dass das Mathematisieren,    auch    wenn    es erlaubt, mit
    struktureller Genauigkeit Phänomene vorauszusehen, die erst eintreten werden, keine Wahrheitsgarantie geben muss,    weil    man

Weitere Kostenlose Bücher