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Im Informationszeitalter

Im Informationszeitalter

Titel: Im Informationszeitalter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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   Approximationen
    mathematisieren    kann,    die    manchmal auch
    prognostisch fruchtbar sind. Sie können allerdings auch prädiktiv, aber nur teilweise fruchtbar sein, und weitere Fortschritte können sie sie zu Anachronismen machen. Ein Beispiel: die Welt Newtons vs. die Welt Einsteins. Ich sehe kein Ende dieses Weges, d.h. ich sehe kein Ende der Wissenschaft.
    Darüber hinaus kommen uns in die Quere:
    a)    die nichtlineare oder wenig lineare Chaostheorie
    (aus einer kleinen Anfangsabweichung entsteht eine unerfassbar    große    (End-)Streuung)
    b)    die bereits kontroverse Katastrophentheorie
    c)    die immer wieder durch Verbesserungen ergänzte neodarwinistische Theorie der natürlichen Evolution.
    Gewicht hat der nachfolgende Schluss aus diesen Umstürzen: Die Menschen gingen stets von einer möglichst einfachen und ästhetisch vertretbaren Annahme aus und wurden dann bei der Fortsetzung des Erkenntnismarsches immer wieder gezwungen, das angenommene Ursprungsbild zu komplizieren. Die
    Komplexität wächst kontinuierlich in allen Bereichen der Wissenschaft, manchmal so langweilig und karg wie die geisteswissenschaftlichen “Moden”. Neulich schaute ich mir mit Staunen das Gespräch eines Philosophen mit einem Theologen an, die überlegten, woher das individuelle menschliche Identitätsgefühl, woher das “Ich” kommt. Die Neurologie, unterstützt durch pathologische Untersuchungen, kann bereits viel, wenn auch nicht alles zu diesem Thema zu sagen. Jedoch schienen die beiden Gesprächspartner die empirischen Erkenntnisse zu diesem Thema völlig zu übersehen. Thomas Aquin könnte mit vollem Verständnis ihrer frühmittelalterlichen Rhetorik folgen. Unterdessen beginnt die Seele langsam dem erosiven Naturalismus zu unterliegen, der der medizinischen, neurologischen und psychiatrischen Pathologie ähnlich ist. Offen naive Prahlereien stellen dagegen die immer öfter publizierten Erklärungen dar, dass demnächst ein Roboterkater gebaut wird, von dem aus der Weg hin zum vernunftbegabten Roboter nicht mehr schrecklich weit sein soll. Das ist nicht wahr. Ein Roboterkater wird sicherlich nicht hinken, aber aus den Mäusen, die er nicht fangen wird, wird keiner eine Pastete machen. Unsere Gegenwart liebt merkwürdigerweise möglichst billige Lügengeschichten und eine dürftige Kunst, wie z.B. das Verpacken von Kathedralen, Türmen und Brücken. Wenn man alles als Kunst präsentieren kann, dann kann man die Kunst nirgends mehr finden.
    So also verwandelt sich die beschleunigte Detonation der Megabitbombe vor meinen entsetzten Augen in eine Giga- oder Terabitexplosion, bei der die kleinen Stücke der “unwiderlegbaren Wahrheit”, z.B. die Sterblichkeit der Menschen, wie Seifenblasen in den Himmel emporsteigen. Einhundert Milliarden von Neuronen sollen beim Menschen das “Wesentliche” auffangen. Und das ist der zauberhafte Spiegel, in dem sich die ganze Welt reflektieren soll. Niemand muss sich mehr wegen der Ignoranz grundlegender Daten schämen, vor allem kein Philosoph, der sich in der tiefen Vergangenheit unserer Spezies versteckt. Die demografische Bombe immerhin wird nicht explodieren, weil die Geburtenrate in der Welt sinkt. Die informationstechnologische Bombe ist dagegen bereits explodiert und befindet sich im vollen Splitterflug. Das Kommunikationsnetz wird nicht weiter helfen. Und “Artilekte” ( Ul Bauen wir Götter oder unsere möglichen Exterminatoren? )? Die durch neue Bezeichnungen oder Spitznamen geschmückte künstliche Intelligenz existiert, wie wir bemerken, noch nicht, und wenn sie entstehen wird, dann schnell in einer Vielzahl von Varianten. Vielleicht ist es besser, dass es sie zur Zeit nicht gibt.
    Wir könnten eine neue Ausgabe des Werkes unter dem Titel Encyclopaedia of Ignorance als einen Führer durch die Hauptrichtungen der Wissenschaft dringend gebrauchen: die erste Ausgabe, die übrigens nicht ganz veraltet ist - aus den 70er Jahren - habe ich auf dem Tisch. Hier wurden Fragen erörtert, auf die wir noch keine Antwort haben, oder es gab Fragen, die falsch gestellt wurden. Aber es sind auch die Probleme, die völlig beseitigt wurden, beachtenswert, weil man aus Fehlern lernen kann. Ich habe früher einmal den fehlerhaften Beweis der “Transcomputability” (Transberechenbarkeit) für Computer beliebiger Rechenleistung von H. Bremmerman erwähnt: diese Unmöglichkeit, die er, durch die Konstanten der Festkörperphysik und durch eine solide

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