Im Informationszeitalter
Weltentwürfen experimentiert, läßt seine eigenen Kreaturen, Trurl und Klapauzius, die ebenso wie er selbst auf der Suche nach neuen, allgemeingültigen Werten sind, scheitern: “Der
Schriftsteller soll einer von uns werden; er hat kein Recht, Gott zu spielen.” (Lem in: Quarber Merkur
1979, S. 20). Die Welt, die der Schriftsteller konzipiert, darf er innerhalb seines Werkes so gestalten, daß sie der realen Welt nicht ähnlich sein muß; eine völlige Freiheit des Bezuges ist aber nicht möglich, etwas völlig Neues ohne mögliche Analogien
- die Implementation eines absolut neuen Schemas durch die Literatur - läßt sich nicht erstellen.
“Thus, in the end, the realistic writer is not responsible for the overall - e. g. the causal - structure of the real world. … On the contrary, the SF-writer is responsible both for the world he has placed his action, and for the action as well, inasmuch as he, within certain limits, invents both one and the other.” (Lem in: Rose 1976, S. 85)
Trurl und Klapauzius orientieren sich in dieser von Lem kreierten Welt an den traditionellen Werten von Freiheit, Einheit, Brüderlichkeit in ihren Gesellschaften (obwohl die meisten vom Grundmuster her feudalistisch konzipiert sind). Lem steht diesen Werten mißtrauisch gegenüber: “Ich vertraue nicht auf Versprechungen und glaube nicht an Versicherungen, die sich auf einen sogenannten Humanismus berufen. Gegen eine Technologie hilft nur eine andere Technologie.” (Lem 1981 c, S. 11). Die Unvollkommenheit humanistischer Ideale steht für Lem fest (vgl.: 7.4.), daher begibt er sich auf eine
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Suche nach neuen Werten, von denen er selbst keine konkrete Vorstellung hat, die er aber literarisch zu erfahren sucht. Somit ähneln seine Experimente denen Trurls, vor allem, wenn man vergleicht, wieviele von ihnen ebenfalls “auf dem Objektträger gestorben” sind. Wie sehr die Ambitionen Lems denen seiner Figur ähneln, zeigt sich in seiner ernstgemeinten Konzeption zur Theoriegenese, die er 1982 auf einem Kolloquium über Informations- und Kommunikationssysteme vorstellt:
“Lem schlägt vor, Phänomene in genetische Strukturen zu modellieren und durch Selektoren (Codeproblem!) die Entwicklung der Phänomene mit denen der Organismen zu matchen und entsprechend nach dem jeweiligen Vorhersageergebnis die ‘wohlgeformten’ Kulturen auszusondern.” (Hennings 1983, S. 36)
Wie Lem sich diese Form der Theoriegenese in der Praxis vorstellt, bleibt sein Geheimnis. In seiner Belletristik werden solche Probleme als gelöst vorausgesetzt. Die Ähnlichkeit der Versuchsanordnung zu denen Trurls ist offensichtlich, doch läßt er diesen damit scheitern, obwohl er persönlich weiter an eine ähnliche Möglichkeit glaubt, die auf dem biologischen Code basiert. Assoziationen zum romantischen Schreiben, besonders der romantischen Ironie, werden geweckt: Der Künstler spürt den Widerstreit von Endlichem (den tatsächlichen Möglichkeiten) und Unendlichem (den Möglichkeiten, die Lem beispielsweise im genetischen Code, aber auch im Kosmos vermutet) während des schöpferischen Vorgangs und erhebt sich darüber im Bewußtsein seiner spielerischen Freiheit.
Die Möglichkeit, Kulturen zu produzieren, wird von Lem dahingehend benutzt, bestehendes Kulturgut einer näheren Untersuchung im Modell zu unterziehen. “As
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man developed a culture, this artificial environment began to replace his natural environment, and a new kind of selective pressure developed in which man was an active agent.” (Warrick 1980, S. 199) Trurl und Klapauzius sind “active agents” in höchster Potenz; ihre eigene Existenz ist artifiziell und völlig unabhägig von der Natur (ohne Hunger, ohne Krankheiten). Es entsteht eine direkte Verbindung zwischen Schöpfung und Geschöpf, in der nicht die Natur als unbekannter Faktor und Medium mitwirkt. Verantwortlichkeit kann auf nichts abgewälzt werden; trotz allem ist der Zufallsfaktor, die Eigenwilligkeit der Schöpfung nicht auszugrenzen.
In einer intellektuellen Krise um das Jahr 1968 (die Fabel “Experimenta Felicitologica” entstand 1971) wendet sich Lem von seiner bis dahin vertretenen Theorie des Zufalls ab und ironisierte sie als “Spiel des Universums”. In “Stimme des Herrn” stellt Lem zwei Regeln für dieses Spiel auf:
“Two rules of the Game reveal the heretical nature of Lem’s new position. … Rule One: Lower-order civilisations cannot find the Players who are silent and invisible. Rule
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