Im Informationszeitalter
Two: The Players do not approach the younger civilisations; the players do, however, wish the younger civilisations well.” (Ziegfeld 1985, S. 120)
Lems “neuer Gott” ist also wohlwollend, doch unfähig und den Regeln eines Spiels unterworfen, das er selbst nicht bestimmen kann.
Der “Roman” 39 “Der Untergang der Stadt Passau” entstand unter der Patenschaft des Romans “A Canticle for Leibowitz” 40 von Walter M. Miller; Amery wendet sich nach der Lektüre ebenfalls der Weltuntergangsgeschichte zu. “Da kam’s mir nur darauf an, das ganze einmal weiß-blau durchzuspielen. Und somit ist die Wiedergeburt der Politik das eigentliche Thema.” (Amery-Interview 1995, S. 2). Die Wiedergeburt der Politik nach der großen Katastrophe steht zwischen zwei Möglichkeiten: der Chance des Neuanfangs und der verpaßten Chance in der Wiederholung alter Fehler. Im Unterschied dazu deutet Gottwald die Situation deterministisch: “Bezüge zu Walter M. Millers jr.‘s ‘Lobgesang auf Leibowitz’ sind deutlich, hier wie dort ist die menschliche Geschichte
als circulus vitiosus angelegt, aus dem kein Entrinnen möglich scheint …” (Gottwald 1990, S. 113). Nach Amery hat es nicht zwangsläufig wieder zu einer Politik der Macht kommen müssen (vgl. Amery-Interview 1995, S. 2). Vielleicht ist das Entrinnen doch möglich.
Die Handlung wird auf drei Ebenen strukturiert: durch die (in Fraktur geschriebene) Chronik des Egid, die das Geschehene im Rückblick deutet, durch das präsente Handlungsgeschehen und durch eingeschobene Biographien der Protagonisten aus dem “Vorher”.
Eine Seuche reduziert die menschliche Bevölkerung weltweit auf eine Population von fünfzigtausend Menschen, die sich über Europa verteilen. Der “Scheff” versucht, auf den Resten der Stadt Passau ein neues Machtzentrum zu errichten, das nach dem Prinzip des Feudalismus organisiert ist. Dazu bedient er sich der Technik und der Rohstoffe, die er als Relikte der Vorseuchezeit vorfindet; um sie zu warten, fehlt es an Spezialisten, die langsam aussterben. Die neue Generation ist genußsüchtig, dekadent durch den relativen Überfluß, in dem sie lebt.
Die Bewohner von Rosenheim dagegen leben in einer egalitären Gesellschaft, die sich den Verhältnissen angepaßt hat und von Eigenproduktion lebt. Um 2013 wird eine Gesandtschaft der “Rosmer” in die Stadt eingeladen, angeblich, um ein Bündnis zu besiegeln -in Wirklichkeit aber als Täuschungsmanöver, um das Volk der Rosmer als Hindernis im Zugriff zu den Salzbergwerken zu beseitigen. Die Gesandten, Marte und Lois, durchschauen das Blendwerk der Stadt und fliehen, um Generationen später mit ihren primitiven Waffen die Stadt Passau zu besiegen, vereint mit heranziehenden Nomaden. Begleitet wird das Geschehen durch Einschübe der Chronik des Egid, der die Ereignisse, von Latein in neumittelalterlichen Deutsch übersetzt, beschreibt.
In “Passau” wie auch in “Kyberiade” werden als Verfremdungselement erster Ordnung über das SF-Motiv der Katastrophe die dargestellten Gesellschaften in die Zukunft verschoben. (Dabei steht die Gesellschaft Amerys den heutigen natürlich näher als die Maschinengesellschaft Lems). Amery tastet die Grenzen der Gattung SF ab, indem er eine andere Art der “Verfremdung zweiter Ordnung” in seinem Werk verankert:
“Im übrigen habe ich auch versucht, Elemente der eigenen, der deutschen und heimatlichen Tradition für das Genre nutzbar zu machen: im Grunde müßten sie sich viel besser als die üblichen amerikanischen Versatzstücke in dieses Grundmuster einfügen.” (Passau, Vorwort S. 5) Der doppelte Verfremdungseffekt entsteht durch die Rückführung der an sich verfremdeten Welt auf den vertrauten Boden; ein Leser, der eine entrückte Zukunft erwartet, findet sich in der Mundart und Volkstümlichkeit Bayerns wieder - ein wichtiger Grund dafür, daß der Roman im Ausland kaum ein Erfolg werden konnte.
“… ich habe nie den Wunsch gehabt, den Science Fiction-Roman zu schreiben, außer bei dem Passau “ (Amery-Interview 1995, S. 3). Die Erzählung wird damit zur ursprünglichsten SF Amerys - doch hier spielt er mit der Erwartungshaltung des Lesers, dem er doch die Einordnung seiner Erzählung überlassen möchte: welcher überzeugte SF-Leser wird einen Einblick in bayrische Geschichte erwarten, wenn er überzeugt ist, eine Kataklysmusroman des Genres vor sich zu haben? Amery bleibt seinem Stil treu: er bringt zwei kritische Massen zum Verschmelzen,
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