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Im Innern des Wals

Im Innern des Wals

Titel: Im Innern des Wals Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Orwell
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Ich erinnere mich, daß es ein trüber, erstickend heißer Tag zu Beginn der Regenzeit war. Wir fragten zunächst die Bewohner, wohin sich der Elefant gewandt hätte, bekamen aber wie gewöhnlich keine Auskunft.
    Im Osten ist das nie anders. Aus der Entfernung erscheint ein
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    Vorfall immer völlig klar. Je näher man aber dem Schauplatz kommt, desto verworrener werden die Angaben. Die einen
    behaupteten, der Elefant sei in diese, die ändern, er sei in die entgegengesetzte Richtung gelaufen. Wieder andere erklärten, sie hätten überhaupt nichts von einem Elefanten gehört. Ich war schon beinahe geneigt zu glauben, das Ganze sei ein einziger Schwindel, als wir aus geringer Entfernung schreien hörten. Es war ein lauter, empörter Schrei: »Weg da, Kinder! Wollt ihr wohl sofort da weggehen!«, und eine alte Frau kam hinter einer Hütte zum Vorschein, eine Schar nackter Kinder mit einer Art Besen vor sich her treibend. Schwatzend und schreiend folgten ihr andere Frauen. Offenbar gab es da etwas, das die Kinder nicht sehen sollten. Ich lief um die Hütte und erblickte am Boden die Leiche eines Mannes. Es war ein Inder, ein schwarzer Drawidischer Kuli, fast nackt, und er konnte erst wenige
    Minuten tot sein. Die Leute erzählten, der Elefant sei plötzlich hinter einer Hütte hervorgebrochen, habe den Mann angefallen, ihn mit dem Rüssel gepackt, zu Boden geschleudert und dann totgetrampelt. Es war Regenzeit, die Erde aufgeweicht, und der Kopf des Mannes hatte eine fußtiefe Spur von einigen Yards Länge hinterlassen. Er lag auf dem Bauch, beide Arme weit
    ausgebreitet, mit seitlich scharf abgeknicktem Kopf. Das
    Gesicht war schlammbedeckt, die Augen offen, die Zähne
    entblößt, grinsend mit einem Ausdruck unbeschreiblicher Angst.
    (Nebenbei: niemand soll mir erzählen, daß Tote friedlich
    aussehen. Die meisten, die ich gesehen habe, sahen teuflisch aus.) Der Elefant hatte ihm mit seinem Riesenfuß die ganze Haut vom Rücken gerissen. Man hätte ein Kaninchen nicht
    sauberer abziehen können. Als ich den Toten gesehen hatte, schickte ich einen Polizisten zu einem in der Nähe wohnenden Freund mit der Bitte, mir seine Elefantenbüchse zu leihen. Das Pony hatte ich bereits zurückgeschickt, weil ich fürchtete, es könnte wild werden, wenn es den Elefanten witterte, und mich abwerfen.
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    Kurze Zeit später erschien der Polizist mit der Büchse und fünf Patronen. Von einigen Burmesen hatte ich inzwischen
    erfahren, daß der Elefant am Fuße des Abhangs in einem
    Reisfeld war, nur ein paar hundert Yards entfernt. Als ich mich auf den Weg machte, hatten fast die gesamten Bewohner des
    Viertels ihre Hütten verlassen und folgten mir. Sie hatten die Elefantenbüchse bemerkt und schrien aufgeregt durcheinander, daß ich den Elefanten erschießen wollte. Solange er nur ihre Hütten verwüstet hatte, hatten sie sich nicht weiter um ihn gekümmert. Jetzt, wo er erschossen werden sollte, sah es anders aus. Jetzt war es für sie eine Belustigung, wie es das auch für eine Volksmenge in England gewesen wäre. Außerdem wollten
    sie das Fleisch haben. Mir war äußerst unbehaglich zumute. Ich hatte gar nicht die Absicht, den Elefanten zu töten - nach dem Gewehr hatte ich nur geschickt, um mich notfalls verteidigen zu können - und es machte mich nervös, daß die Menschenmenge mir folgte. Ich ging den Hügel hinunter, sah wie ein Narr aus und fühlte mich auch so, mit meinem Gewehr über der Schulter und einer ständig wachsenden Armee von Leuten an meinen
    Fersen. Hinter den letzten Hütten führte eine geschotterte Straße am Fuß des Abhangs entlang. Jenseits der Straße dehnte sich verschlammtes Ackerland, ein noch unbebautes Reisfeld voller Unkraut, etwa tausend Yards im Quadrat, dessen Boden durch die ersten Regenfälle völlig aufgeweicht war. Der Elefant stand achtzig Yards unterhalb der Straße und kehrte uns seine linke Flanke zu. Von der herannahenden Menschenmenge nahm er
    auch nicht die geringste Notiz. Mit dem Rüssel riß er
    Grasbüschel aus, schlug sie gegen seine Knie, um sie von Erde zu säubern, und stopfte sie sich ins Maul.
    Auf der Straße machte ich halt. Sobald ich den Elefanten
    erblickt hatte, wußte ich mit absoluter Gewißheit, daß ich ihn nicht zu töten brauchte. Es ist eine ernste Sache, einen
    Arbeitselefanten zu töten - vergleichbar etwa mit der Zerstörung einer großen, wertvollen Maschine. Wenn es sich irgendwie
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    vermeiden ließ, verzichtete man besser darauf. Aus der Nähe

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