Im Innern des Wals
Kohle, und zwar viel umfassender, als man glaubt, bis man einmal darüber nachdenkt. Die Maschinen, die für uns
lebensnotwendig sind, und die Maschinen, die Maschinen
herstellen, hängen direkt oder indirekt von Kohle ab. Im
Kreislauf der westlichen Welt nimmt der Kumpel die zweite
Stelle ein, gleich hinter dem Mann, der die Erde pflügt. Er ist eine Art dreckige Karyatide, auf deren Schultern fast all das getragen wird, was nicht dreckig ist. Daher lohnt es sich schon, mit dem tatsächlichen Vorgang der Förderung der Kohle näher vertraut zu werden, wenn man die Möglichkeit dazu hat und die Schwierigkeiten nicht scheut.
Fährt man in eine Kohlengrube ein, sollte man versuchen,
dann bis zur Kohle vorzudringen, wenn die »Schaufler« bei der Arbeit sind. Das ist nicht einfach, weil Besucher bei der Arbeit stören und nicht gerade willkommen sind. Wählt man aber eine andere Zeit, bekommt man sicher ein ganz falsches Bild. An Sonntagen zum Beispiel macht eine Grube einen fast friedlichen Eindruck. Der richtige Augenblick ist, wenn die Maschinen
donnern, die Luft schwarz ist von Kohlenstaub und man
tatsächlich sieht, worin die Arbeit der Bergleute besteht. In dieser Zeit ist der Ort eine Hölle oder, was ich mir unter der Hölle vorstelle. Fast alles, was man mit dem Begriff Hölle verbindet, ist da: Hitze, Lärm, Durcheinander, Dunkelheit, stickige Luft, und vor allem ein geradezu unerträgliches
Gedränge auf engstem Raum. Alles ist da bis auf das Feuer, denn das gibt es unten nicht, ausgenommen der schwache
Schein der Davy-Lampen und die elektrischen Fackeln, beides kaum imstande, die Wolken von Kohlenstaub zu durchdringen.
Wenn man endlich unten angelangt ist - und Hinkommen
allein ist schon ein hartes Stück Arbeit, wie ich gleich erklären
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werde - und man durch die letzten Versteifungen des Stollens durchgekrochen ist, sieht man sich einer drei bis vier Fuß hohen schwarzen schimmernden Wand gegenüber. Die Bergleute
nennen sie »das Gesicht der Kohle«. Über sich hat man die
glatte Decke, die aus dem Fels besteht, aus dem die Kohle
herausgeschnitten wird. Unter einem ist wieder Fels. Der Stollen ist also nur so hoch wie das Kohleflöz mächtig ist,
schätzungsweise nicht viel mehr als ein Yard. Der erste, eine Zeitlang alles andere beherrschende Eindruck ist das
entsetzliche, ohrenbetäubende Gerassel des Fließbandes, auf dem die Kohle von Ort befördert wird. Man sieht nicht sehr weit, weil der Nebel von Kohlenstaub den Schein der
Grubenlampe zurückwirft. Man sieht nur rechts und links eine Reihe halbnackter, kniender Gestalten, vier oder fünf Yard voneinander entfernt, die ihre Schaufeln in die herabgefallene Kohle stoßen und sie mit einem Schwung über die linke
Schulter schleudern. Sie füttern das Fließband, ein etwa zwei Fuß breites Gummiband, das ein oder zwei Yard hinter ihnen vorbeiläuft. Es ist wie ein glitzernder Strom von Kohle, der unaufhörlich auf dem Band abwärts fließt. In großen Gruben befördert das Band jede Minute mehrere Tonnen Kohle; es trägt sie zu einem Platz in dem Hauptstollen, wo es sie in eiserne Behälter abwirft, von denen jeder eine halbe Tonne faßt. Diese werden zum Aufzug geschleppt und dann zur Erdoberfläche
geschafft.
Man kann den »Schauflern« unmöglich zusehen, ohne sie ein
wenig um ihre Zähigkeit zu beneiden. Sie verrichten eine
fürchterliche, ja nach gewöhnlichen Maßstäben fast
übermenschliche Arbeit. Sie bewegen nicht nur ungeheure
Mengen von Kohle, sie müssen das auch noch in einer Stellung tun, die die Arbeit verdoppelt oder verdreifacht. Die ganze Zeit knien sie - sie könnten auch kaum aufstehen, ohne gegen die Decke zu stoßen. Man kann sich selbst durch einen Versuch
leicht davon überzeugen, was für eine grauenvolle Anstrengung
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das bedeutet. Schaufeln ist verhältnismäßig leicht, wenn man aufrecht steht, weil man Knie und Waden zu Hilfe nehmen
kann. In kniender Stellung liegt die ganze Last bei den Armen und den Bauchmuskeln. Dazu kommen die äußeren Umstände,
die die Arbeit auch nicht gerade erleichtern. Da ist die Hitze, verschieden groß, aber in einigen Gruben geradezu erstickend, dann der Kohlenstaub, der einem in Kehle und Nase dringt und sich um die Augenlider festsetzt, und das unaufhörliche Gerassel des Fließbandes, das sich in dem engen Raum fast wie das
Geknatter eines Maschinengewehrs anhört. Aber die Schaufler sehen aus, als ob sie aus Eisen wären, wie handgeschmiedete
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