Im Innern des Wals
geschundenen Rücken bemitleiden – um eine alte Frau unter der Last ihres Brennholzbündels auch nur zu bemerken, dazu bedarf es schon fast eines Unfalls.
Als die Störche nach Norden zogen, zogen Kolonnen von Negern nach Süden, endlose Reihen staubbedeckter Infanteristen, Batterien von Geschützen auf Schwenklafetten und dann wieder Infanterie, insgesamt etwa vier- bis fünftausend Mann, ein Zug, der sich unter dem Geratter eiserner Räder und Stiefelgetrampel die Straße aufwärts wand.
Es waren Senegalesen, die schwärzesten unter den Negern Afrikas, so schwarz, daß es manchmal schwer ist zu sehen, wo bei ihnen die Haut im Genick aufhört und die Haare anfangen.
Ihre wunderbaren Körper staken in Khaki-Uniformen, die sie bis zu den Knöcheln verhüllten, die Füße waren in Stiefel eingezwängt, die wie Holzkloben aussahen, und ihre Stahlhelme schienen alle um ein paar Nummern zu klein. Es war sehr heiß, und die Leute hatten bereits einen langen Marsch hinter sich. Sie schleppten sich unter dem Gewicht ihres Marschgepäcks nur mühsam vorwärts, und die auffallend sensiblen schwarzen Gesichter glänzten vor Schweiß.
Im Vorbeimarsch wandte sich, wie ich bemerkte, ein hochgewachsener junger Bursche nach mir um. Aber der Blick, der mich traf, war gänzlich anders, als man hätte erwarten können, weder feindselig noch verächtlich oder stumpf, ja nicht einmal forschend. Es war der scheue, großäugige Negerblick, im Grunde ein Blick tiefsten Respekts. Ich begriff. Dieser bedauernswerte Bursche, der französischer Staatsbürger war und aus dem Urwald verschleppt worden war, um in Garnisonen Fußböden zu scheuern und sich die Syphilis zu holen, hatte tatsächlich die größte Ehrfurcht vor einer weißen Haut. Man hatte ihm eingetrichtert, die Weißen seien seine Herren, und er glaubte es heute noch.
Aber jedem Weißen drängt sich ein Gedanke auf (und es kommt nicht drauf an, ob er sich selbst als Sozialist bezeichnet), jeder Weiße denkt bei sich, wenn er eine schwarze Truppe vorbeiziehen sieht: wie lange können wir diese Völker noch an der Nase herumführen? Wie lange noch, bis sie die Kanonen umdrehen?
Es ist wirklich sonderbar. Jeder weiße Mann trägt diese und ähnliche Gedanken heimlich mit sich herum. Und wie mir, ging es auch den anderen Zuschauern, es ging den Offizieren so auf ihren schweißbedeckten Gäulen und den weißen Unteroffizieren, die neben der Truppe marschierten. Es war eine Art Geheimnis, das wir alle kannten, aber für uns behielten, weil wir klug genug waren, nicht darüber zu sprechen. Nur die Neger kannten es nicht. Man hatte wirklich den Eindruck einer Herde, als die Kolonnen, eine oder zwei Meilen lang, geduldig die Straße aufwärts zogen, während die großen, weißen Vögel über ihnen in die entgegengesetzte Richtung flogen, wie verwehte, glitzernde Papierstückchen.
New Writing , Weihnachten 1939
Im Innern des Wals
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Als 1935 Henry Millers Roman Wendekreis des Krebses erschien, wurde er anerkennend, aber doch mit einiger Zurückhaltung aufgenommen, in einigen Fällen offensichtlich deshalb, weil sich niemand gern dem Verdacht aussetzt, Pornographie schön zu finden. Unter denen, die ihn lobten, waren T. S. Eliot, Herbert Read, Aldous Huxley, John Dos Passos und Ezra Pound – alles in allem nicht gerade Schriftsteller, die zur Zeit in Mode sind. In der Tat gehört das Buch, sowohl dem Stoff wie bis zu einem gewissen Grad seiner geistigen Atmosphäre nach, mehr zu den zwanziger als den dreißiger Jahren.
Wendekreis des Krebses ist ein Roman in »Ich«-Form oder eine romanhafte Autobiographie, je nachdem, wie man es lieber sieht. Miller selbst besteht darauf, daß es rein autobiographisch ist, aber das Tempo und die Methode des Erzählens ordnen das Buch dem Roman zu. Es ist die Geschichte von Amerikanern in Paris, aber nicht in der üblichen Weise, weil die Amerikaner, die darin vorkommen, durchweg Leute ohne Geld sind. In den fetten Jahren, als es Dollars im Überfluß gab und der Wechselkurs gegenüber dem Franc hoch stand, erlebte Paris eine beispiellose Invasion von Künstlern, Schriftstellern, Studenten, Dilettanten, Touristen, Lüstlingen und bloßen Nichtstuern. In einigen Stadtvierteln muß die Zahl der sogenannten Künstler die der arbeitenden Bevölkerung tatsächlich überstiegen haben. Man hat ausgerechnet, daß Ende der zwanziger Jahre etwa 30000 Maler in Paris lebten, von denen die meisten wenig mit Kunst zu tun hatten. Dem kleinen Mann auf der
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