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Im Interesse der Nation

Im Interesse der Nation

Titel: Im Interesse der Nation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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gaben die Knie des Mannes nach, und er sackte zu Boden.
    Carl blieb mit vorgehaltener Pistole und dem Finger am Abzug einige Sekunden stehen, während er die Szene überblickte. Gennadij Alexandrowitsch lebte, war aber mit Handschellen gefesselt. Der Platz neben ihm war leer. Auf dem Fußboden ein Blutfleck. Zwei Stewardessen standen mit aufgerissenen Augen wie Salzsäulen da. Die Passagiere saßen mit angelegten Sicherheitsgurten auf ihren Plätzen und drehten ihm die Gesichter zu.
    Mit der linken Hand zog sich Carl langsam die Kapuze vom Kopf und fuhr sich durchs Haar, dann senkte er die Pistole und sicherte, so daß der Hahn einschnappte. Dann entsicherte er sie erneut, um sie schnell wieder schußbereit zu haben. Noch immer sprach niemand ein Wort. Alle starrten ihn an. Niemand sah nach vorn zu der kleinen Bordküche und dem Serviceraum, die Cockpit und Erster-Klasse-Kabine trennten.
    »Wo sind die anderen Entführer? Wie viele sind da vorn?« fragte Carl und zeigte mit seiner Pistole in Richtung Cockpit.
    »Einer, nur einer, und der ist bei den Piloten«, erwiderte eine der Stewardessen, die aussah, als würde sie jeden Augenblick ohnmächtig werden.
    »Ich gehöre nicht zu ihnen, sollte ich vielleicht sagen«, erklärte Carl mit einem schnellen schiefen Lächeln. Dann wurde er wieder ernst.
    »Können die uns da vorn hören, bei den Piloten?« wollte er wissen. Die Stewardessen schüttelten gleichzeitig den Kopf.
    »Gut«, sagte Carl. »Wie kommen wir ins Cockpit rein? Ist es verschlossen?«
    Jetzt nickten die Frauen.
    »Verschlossen, Sicherheitssystem, läßt sich nur von innen öffnen«, erklärte eine von ihnen.
    »Aha. Wie weit sind wir jetzt wohl von Damaskus entfernt?«
    »Fünfundvierzig Minuten, vielleicht eine Stunde, würde ich sagen«, sagte diejenige der Stewardessen, die sich inzwischen wieder in der Gewalt zu haben schien. »Und der andere, der da hinten?« fragte sie mit plötzlich aufflackernder Unruhe.
    »Der ist tot«, erwiderte Carl. »Wir haben also noch einen Entführer, und der ist bei den Piloten eingeschlossen. Was passiert, wenn man das Schloß zerschießt?«
    Die Stewardessen streckten die Arme in einer synchronen und sehr französischen Geste aus, was heißen sollte, das wissen die Götter.
    »Dann warten wir eine Weile«, sagte Carl. »Übrigens, eine von Ihnen kann nach hinten gehen und nach den Passagieren sehen. Ich glaube, da hinten sind auch ein paar ängstliche Kolleginnen, die über die Lage aufgeklärt werden sollten. Sie!« Er zeigte aus Versehen mit der Pistole auf die ängstlichere der beiden Stewardessen und machte dann eine verlegene, entschuldigende Geste. Als die junge Frau ging, zeigte sich im Mundwinkel ein feines Lächeln. »Und Sie da«, fuhr Carl an die zweite Stewardeß gewandt fort, »sollten den Passagieren hier etwas anbieten. Ich glaube, der eine oder andere könnte einen kräftigen Drink vertragen.«
    Dann ging er nach vorn und setzte sich neben Gennadij Alexandrowitsch Koskow.
    »Unverletzt?« fragte er flüsternd und bekam ein Kopfnicken zur Antwort. Dann entdeckte er die Handschellen. Er legte vorsichtig die Pistole aufs Knie, während er seine Dietriche aus dem vermeintlichen Armeemesser ausklappte, ein geeignetes Instrument auswählte und die Handschellen aufschloß. Er steckte sie in die Plastiktasche am Vordersitz.
    »Was ist mit dem Mann passiert, der hier saß?« flüsterte er weiter und zeigte auf seinen ursprünglichen Platz.
    Der Russe machte eine vielsagende Geste mit der flachen Hand, die er sich schnell über den Hals zog.
    »Haben sie ihn mit einem Messer getötet?« fragte Carl ungläubig und sah sich nach Blutspuren um.
    »Njet, Pistole, paff!« flüsterte der Russe zurück und zeigte auf seinen Hinterkopf.
    Carl versank kurz in Grübelei. Sie hatten erstens versucht, ihn zu töten, und niemanden sonst. Sie wußten folglich zweitens, daß er Gennadij Alexandrowitschs Begleiter war. Er hatte es also nicht mit irgendwelchen »Märtyrern der islamischen Revolution« zu tun, sondern wirklich mit dem GRU.
    Er stand auf und ging zu dem toten Mann hin, der zwei Meter weiter im Gang lag, und zog ihm die schwarze Kapuze vom Kopf. Das Geschoß war genau zwischen Nasenwurzel und linkem Auge eingedrungen und nicht weitergeflogen. Es hatte sich im Kopf ausgedehnt und dort alle Energie verbraucht, ohne weiterzufliegen und im Flugzeugrumpf Unheil anzurichten; alles hatte genauso funktioniert wie in der Theorie vorgesehen.
    Der Mann auf dem Fußboden sah

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