Im Interesse der Nation
Carl.
»Ich bin der Chef, Kapitän Michel Legrand. Wir bedanken uns sehr herzlich für Ihre Hilfe, aber wir landen jetzt. Sicherheitsbestimmungen. Der Flug kann nicht weitergehen, wenn Sie uns also entschuldigen wollen…«
Der Flugkapitän wandte sich wieder seinen Instrumenten zu und gab dem Copiloten ein paar kurze Anweisungen. Carl ging auf, daß sie es tatsächlich ernst meinten.
»Wenn Sie landen, führen Sie den Auftrag der Entführer zu Ende, und zwei Ihrer Passagiere werden entführt und getötet werden«, sagte Carl, der inzwischen seine Ruhe wiedergewonnen hatte.
»Seien Sie so nett und stören Sie uns nicht«, erwiderte der Kapitän und setzte sein Manöver fort. Die Landebahn kam immer näher.
Carl zog seine Pistole aus der Innentasche und entsicherte mit einem lauten Klicken. Er hielt den Finger sicherheitshalber außerhalb des Abzugbügels, was im Cockpit jedoch niemand sehen konnte, und preßte dem Kapitän den Pistolenlauf in den Nacken.
»Wenn wir landen, sterbe ich, aber vorher sterben Sie, Herr Kapitän. Brechen Sie die Landung ab und fliegen Sie nach Larnaka auf Zypern. Das ist ein Befehl«, sagte Carl und betonte jede Silbe mit Nachdruck.
Niemand im Cockpit rührte sich oder sagte etwas. Der Kapitän ließ die Hände einen Moment auf den Instrumenten ruhen, bevor er sich entschloß.
»Landung abbrechen, Vollgas!« befahl er dann.
Mit brüllenden Motoren kurvte die schwere französische Maschine direkt über das wartende Empfangskomitee mit Krankenwagen, Sicherheitsbeamten und einer Delegation aus der Sowjetunion hinweg. Die Zuschauer am Boden sahen mit zunehmender Verblüffung, wie sich die erwartete Maschine aufbäumte und in einer nördlichen Kurve über einen der hohen Berge hinwegzog, die Damaskus umgeben. Nach einem kurzen, sprachlosen Moment brach dort unten ein wirrer Tumult aus. Sicherheitsbeamte und sowjetisches Personal rannten durcheinander, um schnell zu einem Telefon zu kommen.
Im Cockpit herrschte drückende Stille.
»Teilen Sie dem Tower in Larnaka folgendes mit«, befahl Carl. »Müssen notlanden, weil es sich um eine akute medizinische Notsituation handelt. Sie haben zwei schwedische UN-Offiziere an Bord. Bitten Sie den Tower, die schwedische UN-Kaserne anzurufen, und lassen Sie von dort einen Krankenwagen aufs Flugfeld kommen.«
Die Piloten tauschten einen kurzen resignierten Blick aus. Dann nickte der Kapitän seinem Copiloten zu, der die Nachricht sofort zu übermitteln begann, die er dann in gleichmäßigen Abständen wiederholte.
»Ich bedaure sehr, aber das hier war notwendig«, sagte Carl nach einiger Zeit mit leiser Stimme, als die Mitteilung an Larnaka Airport ein paarmal wiederholt und dort offensichtlich verstanden worden war. Der Tower hatte sogar Landezeit, Landebahn und Windrichtung angegeben.
»Tja«, sagte der Kapitän beinahe munter, »wir sind jedenfalls in der Welt die ersten, denen es gelungen ist, bei ein und demselben Flug zweimal entführt zu werden. Wer sind Sie eigentlich, Monsieur?«
»Westlicher Nachrichtendienst. Ich fürchte aber, daß ich Ihnen noch mehr Kummer bereiten muß. Sie können nämlich nicht in Larnaka bleiben«, erwiderte Carl, der allmählich spürte, daß er die Lage unter Kontrolle bekam, sowohl körperlich wie seelisch.
»Das ist unmöglich. Wir müssen dort bleiben und die Besatzung auswechseln. Das sind die Vorschriften.«
»Immerhin ist es eine recht kurze Entführung gewesen, ich meine, kurze Entführungen«, wandte Carl ein.
»Vorschrift ist Vorschrift«, entgegnete der Kapitän säuerlich.
Carl grübelte eine Weile. Dort, wo die Maschine landen würde, würde eine Hölle von Aufmerksamkeit losbrechen. Das war eine unmögliche Situation. Er und Gennadij Alexandrowitsch würden in wenigen Stunden bei einem schwedischen UN-Bataillon sitzen und von Fernsehkameras belagert werden. Sie würden in einer Menschenmenge festsitzen, und das GRU hätte eine Möglichkeit, zum Schuß zu kommen. Das durfte nicht geschehen. Carl mußte sich mit einem Bluff aus dieser Lage befreien.
»Hören Sie, Captain«, begann er entschlossen. »Dies ist eine Kriegsoperation zwischen Ost und West, und ich kann Ihnen nicht alles erklären. Syrische Jagdflieger haben eine Reichweite, die bis etwa dorthin reicht, wo wir bei Sizilien den Kurs geändert haben. Vorausgesetzt allerdings, daß sie anschließend wegen Brennstoffmangels ins Meer zu stürzen bereit sind. Von jetzt an haben Sie etwa eine Stunde Zeit - je nach Befehlsgang zwischen
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