Im Interesse der Nation
vierundzwanzig Stunden. Nun ja, nicht alle Informationen, aber die meisten. In geopolitischer Hinsicht mag Schweden so neutral sein, wie es ihm beliebt. In allen Fragen, die etwas mit nachrichtendienstlicher Tätigkeit zu tun haben, ist Schweden fest in der NATO verankert und ist es vermutlich immer gewesen. Gegen diese Tatsache hatte Carl im Grunde keine Einwände. Allerdings hätte es ihn unfaßbar aufgeregt, wenn er es zu der Zeit erfahren hätte, als er noch ein schwedischer Gymnasiast und Mitglied der Clarté war - zu der Zeit, in der die Clarté noch auf den Marxismus-Leninismus und die Gedanken Mao Tse-tungs baute.
Aber das war einmal. Inzwischen würde es ihm schwerfallen, in den USA etwas anderes als einen Verbündeten zu sehen. Die USA würden nach menschlichem Ermessen niemals ein militärischer Feind Schwedens werden; in dieser Hinsicht kam nur die Sowjetunion in Frage. Möglicherweise war er selbst in seinen fünf Jahren des Pendelns zwischen San Diego und Ridgecrest zu einem halben Amerikaner geworden.
Bei Santa Monica bog er in Richtung Pasadena und San Bernardino ab. Er hatte sich entschlossen, direkt nach Ridgecrest zu fahren. Sollte er wirklich Tessies Vater besuchen, dann bei einer anderen Gelegenheit.
Die Nachmittagssonne schien, es herrschte dichter Verkehr, und Carls Thunderbird glitt gleichsam von selbst durch den entgegenkommenden Strom von Touristen aus Los Angeles auf dem Rückweg von Vegas. Im Autoradio wurden unablässig Sonderangebote gebracht. Etwa ein Wochenende in Las Vegas im Dunes oder im Flamingo Hilton für weniger als sechzig Dollar pro Person, und der Aufenthalt dort könne zum entscheidenden Ereignis des Lebens werden, da jeden Abend ein Jackpot geknackt werde, jahraus, jahrein.
Carl warf einen letzten Blick auf die Hertz-Straßenkarte von Kalifornien. Von der nächsten Abzweigung an würde er wie im Schlaf fahren, wenn er auf die Straße 395 an der George Air Force Base einbog. Dann blieben noch 150 Kilometer schnurgerade Wüstenstraße bis Ridgecrest, unterbrochen nur durch einige kurze Passagen über niedrige Pässe. Er entdeckte, daß die George Air Force Base auf der Straßenkarte verzeichnet war. Damit nicht genug. Ein paar dutzend Kilometer weiter nördlich war die gesamte Edwards Air Force Base mit roten Strichen eingezeichnet, ebenso das hundert Quadratkilometer große Gebiet des US Naval Weapon Center, die Testgebiete von Camp Irwin und Randsburgh Wash, nicht zu vergessen die Twenty-Nine Palms Base des US Marine Corps sowie überhaupt alles, was in Kalifornien mit dem Militär zu tun hatte. Carl lachte auf, als er daran dachte, was Lastwagen mit der Aufschrift SOVTRANSAVTO in Kalifornien wohl unternehmen würden. War es den Russen schon eingefallen, sich Karten von Hertz zu kaufen?
Das Licht fiel schräg in den Wagen ein, als er am Anfang der Mojave-Wüste die Straße 395 erreichte. Der Verkehr hatte schon erheblich nachgelassen. Die Landschaft war platt und rot, doch ob es rote Erde oder Sand war, konnte Carl nicht ausmachen. Hier und da bis zu sieben Meter hohe Kakteen sowie tumbling weeds, die vor dem Kühler über die Straße wirbelten; der Wind dort draußen außerhalb des klimatisierten Innenraums war vermutlich immer noch heiß.
Carl drehte einige Zeit am Autoradio herum, doch es schien unmöglich zu sein, etwas anderes hereinzubekommen als lokalen Werbefunk oder das öde Gerede vom Glück des Lebens im Dunes oder im Flamingo Hilton von Las Vegas. Carl stellte das Radio ab und fuhr weiter, ohne an irgend etwas zu denken, während das Sonnenlicht immer röter wurde und immer schräger einfiel. Er verdrängte seine Erinnerungen.
Er erwachte aus seinen Träumereien, die keine Träume waren, als er Johannesburg erreichte. Bei diesem Namen war er schon früher immer zusammengezuckt, hatte aber nie dort angehalten. Johannesburg, population 163, stand wie gewohnt auf dem Schild an der Ortseinfahrt. Hatten die sich in den letzten vier Jahren überhaupt nicht vermehrt?
Nur noch eine halbe Stunde bis Ridgecrest.
Auch dieses Nest war total unverändert. Hier lag die Einwohnerzahl sicher bei etwa tausend Menschen, wenn man das mehr oder weniger seßhafte militärische Personal dazurechnete. Eine einzige Straße, vier Hamburger-Restaurants (alle großen Marken waren vertreten), drei Tankstellen, drei Motels, ein Immobilien-Makler, ein Anwaltsbüro, alles an der einen schnurgeraden Asphaltstraße direkt durch den Ort. Die Zeit stand vollkommen still.
Carl hielt
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