Im Jahre Ragnarök
Kunden.«
Tubbers Gesicht verfärbte sich schlagartig rötlich, und er fing verlegen zu stottern an: »Sie ... Sie ... sind eine Prostituierte?«
Die Reaktion des Engländers ließ Chantal erst belustigt prusten und dann schallend lachen. Es dauerte einen Moment, bis sie wieder sprechen konnte und in unbeschwertem Plauderton fortfuhr: »Ja, das haben Sie messerscharf erfasst, verehrter Herr Leutnant. Ich bin auf dem Weg nach Berlin, weil ich gehört habe, dass Patton für einige Monate abwesend sein wird. Er ist ja auf seine alten Tage ziemlich puritanisch geworden und duldet es nicht, dass seine Offiziere sich weibliche Gesellschaft suchen ... obwohl die armen Kerle ja ihre Frauen nicht nach Deutschland mitnehmen dürfen. Aber wenn die Katze erst mal aus dem Haus ist ...«
Erschüttert vergrub Tubber das Gesicht in seinen Händen und unterdrückte ein leidvolles Stöhnen. So weit ist es mit mir gekommen, dachte er niedergeschmettert.
Ich bin darauf angewiesen, auf dem Rücksitz einer Nutte mitfahren zu dürfen. Tiefer kann ich nicht mehr sinken.
11. März, 16:30 Uhr, Potsdam
Wenig, noch weniger sogar als von manchen anderen deutschen Städten, war von Potsdam übrig. Hier hatten sich im Juni 1945 die fanatisierten Reste zersprengter SS-Einheiten, aufgepeitschte Hitlerjungen und oftmals durch blanken Terror in den Kampf getriebene Volkssturm-Haufen eingegraben, um die bis ins Mythische verklärte Stadt der Preußenkönige, den Geburtsort des deutschen Militärs, zu verteidigen und so vielleicht die von Westen her anrollende Flutwelle der auf Berlin vorrückenden Alliierten zu brechen.
Es war ihnen nicht gelungen. Nach einem Tag blutiger Häuserkämpfe hatte sich General Omar Bradley auf keine weiteren Gefechte mehr eingelassen. Stattdessen warfen Liberator-Bomber der Air Force in zwanzig Angriffswellen ihre tödliche Last über der Stadt ab, während zugleich Batterien von eilig herangeführten Acht-Zoll-Geschützen unentwegt aufbellten und Tausende von Granaten in das Inferno hageln ließen, bis sich keinerlei Widerstand mehr regte. Der feine Staub der Ziegelsteine, aus denen Potsdam erbaut worden war, wurde durch die Hitze der Flächenbrände als gewaltige rote Wolke in die Höhe getragen, ehe er wieder zu Boden sank und sich in weitem Umkreis auf allem niederließ.
Geblieben war ein Meer aus Trümmerschutt, in dem unerklärlicherweise ausgerechnet Sanssouci, das Schloss Friedrichs des Großen, nahezu unversehrt aufragte.
Dorthin hatte General George S. Patton 1948 seine Residenz verlegt, obwohl nach wie vor Berlin der offizielle Amtssitz des Militärgouverneurs der amerikanischen Zone war. John Tubber hoffte, den General hier in Sanssouci anzutreffen.
Chantal Schmitt hatte in Potsdam vor dem Brandenburger Tor am Rande des Luisenplatzes geparkt. Es war Tubbers Bitte gewesen, dass sie ihn nicht direkt zum Einfahrtstor des Schlossparks brachte; ihm war das Risiko zu groß, dass eine der Wachen vielleicht den Wagen der Prostituierten wiedererkannte und er sich dadurch schon beim Aussteigen diskreditierte.
Ein kühler, aber nicht unangenehmer Märzwind strich über den von Ruinen umrahmten weiten Platz. Tubber hatte das Auto verlassen und knöpfte den verhassten amerikanischen Mantel zu. Zweimal vertat er sich dabei und musste die Knöpfe wieder aus den falschen Löchern lösen. Gerade jetzt, vor einem so wichtigen Moment, fiel es ihm schwer, sich zu konzentrieren, weil beißender Schmerz in seinem Hirn wühlte.
»Aber am Hauptportal auf Sie warten darf ich doch wohl, ohne Ihren guten Ruf zu gefährden?«, erkundigte sich Chantal Schmitt grinsend und wischte dabei mit einem Tuch die dreckbespritzten Scheinwerfer sauber.
»Natürlich, ja. Und ich bin Ihnen sehr zu Dank verpflichtet, dass Sie uns sogar nach Berlin mitnehmen. Ich werde mein Möglichstes tun, damit Sie nicht allzu lange warten müssen.«
»Machen Sie sich darüber keine Gedanken, Mr. Tubber. Ich werde mich mit Ihrem Kommissar Dünnbrot sicher gut unterhalten.« Sie wandte sich zu dem Polizisten um, der auf der anderen Seite des Wagens über der Motorhaube lehnte und zustimmend nickte.
»Daran zweifle ich nicht. Nochmals vielen Dank und bis später, Frau Schmitt.«
Er machte sich auf den Weg. Sein Blick fiel dabei unwillkürlich auf das von Granatsplittern zernarbte und halb eingestürzte Brandenburger Tor zu seiner Rechten, einen imitierten römischen Triumphbogen mit drei Tordurchlässen, der als zerfallende Ruine einem authentischen antiken
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