Im Jahre Ragnarök
Smith zu einem Fluch an, brach dann aber mitten im Wort ab.
Ihm war etwas eingefallen, das die Situation vielleicht noch retten konnte. Jeder Lastwagen, der von Berlin zu den Uranbergwerken fuhr, musste zwangsweise zum Tanken einen Zwischenhalt in Dresden einlegen. Am Tanklager würde er Tubber abfangen; falls Pirna tatsächlich das Ziel des Engländers war, würde er mit Sicherheit die einzige Mitfahrgelegenheit weit und breit so lange wie möglich nutzen und den Wagen nicht eine Minute früher als unbedingt nötig verlassen.
»Können Sie mich nach Dresden fliegen?«, wollte Smith wissen.
»Ja, Sir.«
»Dann los. Das ist ein Befehl!« Für gewöhnlich unterstrich Smith seine Anordnungen nicht auf diese Weise. Aber jetzt hatte er das unterschwellige Gefühl, überspielen zu müssen, dass er eigentlich gar nicht mehr befugt war, Befehle zu erteilen, obwohl der Pilot das natürlich nicht wissen konnte.
Die ausladenden Rotorblätter begannen sich zu drehen, immer schneller, und ihr anfangs gemächlich an- und abschwellendes Sausen steigerte sich zu einem gehetzten, durchdringenden Knattern. Dann hob der Helikopter ab und stieg in den halbdunklen Abendhimmel auf.
* * *
Der letzte der sprunghaften Gitarrenakkorde verklang. Greta und Chantal applaudierten begeistert, Tubber höflich und Dünnbrot klatschte mit schlecht kaschiertem Desinteresse einige Male lasch in die Hände. Nur Sergeant Kerouac spendete überhaupt keinen Beifall, wie auch schon bei den anderen Liedern, die Private Holley zu Gehör gebracht hatte.
Die kleine Gruppe saß um ein Lagerfeuer, das einen winzigen Ausschnitt der Nacht aufhellte. Tubber trank einen Schluck flaues amerikanisches Bier, drehte die Flasche versonnen in der Hand und beobachtete, wie sich das Licht des Feuers im braunen Glas brach. Er war unzufrieden. Seine Versuche, Kerouac umzustimmen, waren gescheitert. Der Sergeant hatte sich nicht überreden lassen, die Fahrt nach Einbruch der Dunkelheit fortzusetzen. Das Nachtlager am Rande der Autobahn kostete wertvolle Zeit.
»Das waren wunderbare Lieder«, versicherte Chantal enthusiastisch. »Sie sind sehr talentiert, Mr. Holley!«
»Vielen Dank, Ma'am«, sagte Holley und zeigte ein einnehmendes Lächeln. Kerouac stellte sein Bier ins Gras, nahm die süßlich duftende Zigarette aus dem Mund und schnaubte: »Bah! Es regnet in meinem Herzen! Was für ein Stuss.
Zuckerwattemusik ist das, wenn man so was überhaupt Musik nennen kann. Und für so was schleppt er nun dauernd die Gitarre mit sich herum.«
Greta, die Kerouacs abfällige Worte sichtlich ärgerten, wandte sich zu ihm und fragte scharf: »Dürfte ich denn wissen, welche Musik Sie vorziehen?«
»Die einzige wahre Musik ist Bebop«, stellte der Sergeant unmissverständlich fest. Sein Blick wurde abwesend und schweifte in eine imaginäre Ferne. »Bebop, der rastlos pulsierend aus dem Radio dringt, während man in einem offenen Cadillac über endlose Highways durch Amerika braust. Amerika ...« Er schwieg einen Moment, als wären seine Gedanken weit abgedriftet. Dann plötzlich kehrte das höhnische Flackern in seine Augen zurück, und er setzte verächtlich hinzu: »Aber gegen Bebop hat die Schweinebande um Hoover ja auch etwas. Soll er mit seiner ganzen stinkenden Ansammlung engstirniger Hinterwäldler verrecken!« Er spuckte ins Feuer und setzte seine Bierflasche zu einem großen Schluck an die Lippen.
»Das über die Fahrt durch Amerika hätte glatt von einem Schriftsteller stammen können«, fand Dünnbrot.
»Kunststück. Ich bin ja einer«, meinte Kerouac. Er gab ein kurzes, zynisches Lachen von sich, nahm einen Zug von der Zigarette und stieß die Rauchwolke langsam wieder aus. »Und genau deswegen stecke ich jetzt in dieser kuhscheißgrünen Uniform. Ich hatte ein Manuskript an ein paar Verlage geschickt, so eine Art Reiseerzählung. Etwas wild, zugegeben. Aber so schlimm auch wieder nicht.
Jedenfalls standen eines Morgens Federal Marshals vor meiner Tür und machten mir klar, dass ich tief in der Scheiße steckte, weil ich gleich gegen zwei Bundesgesetze verstoßen hatte, den Public Decency Act und das Gesetz gegen dekadente Literatur. Mir blieb die Wahl – Prozess vor einem Bundesgericht mit garantierter Verurteilung zu acht Jahren Knast mit Steineklopfen oder freiwilliger Dienst in der Army. Meine Entscheidung? Na ja, ich bücke mich halt ungerne nach der Seife.«
Auf den letzten Satz ließ er ein schallendes Gelächter folgen, in das Greta und Chantal einstimmten. Tubber
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