Im Jenseits ist die Hölle los
weiß er am besten. Für uns ist es na
türlich weiterhin ein Spiel, ein Spaß, und ebenso leicht können wir uns auch in die Träume der Menschen einmischen.«
Für mich war das alles neu. Ich begriff sofort, welche ungeheuren Möglichkeiten sich dadurch eröffneten, dass wir Toten in die Gedanken und damit auch in die Hand lungen, ja, in das ganze Leben eines Menschen eingrei fen konnten. Mir wurde ganz schwindelig davon. Plötz lich fiel mir ein, wie meine Freundin, das karelische Mütterchen, während des Militärputsches in La Paz den schlafenden Oberst – bildlich – durchgeschüttelt hatte. Ich dachte außerdem daran, wie ich den ganzen Herbst hindurch für den Tod meiner lieben Elsa gebetet hatte – hatte ich ihn so vielleicht mit herbeigeführt? Womöglich würde Elsa noch leben, hätte ich nicht so heftig ge wünscht, dass sie stirbt.
Elsa war tot, endgültig. Aber vielleicht konnte ich mit diesen geisterhaften Fähigkeiten auch irgendetwas Gutes in der Welt bewirken? Ich könnte sie entspre chend anwenden – was hinderte mich daran, beispiels weise für den Weltfrieden tätig zu werden?
Ich plante bereits einen Besuch in Washington, wo ich schnurstracks ins Schlafzimmer des Weißen Hauses flattern würde, um dem Präsidenten der USA, sobald er eingeschlafen wäre, den Friedensgedanken einzuhäm mern. Hätte ich ihn dann gründlich von der Sache über zeugt, würde ich anschließend die Schlafkammern der Staatschefs der anderen Großmächte abklappern und ihnen zu denselben herrlichen Träumen verhelfen. Das Ergebnis konnte durchaus ein dauerhafter Weltfrieden sein, Pax Finlandie, dachte ich, wobei mir fast das Herz vor Glück zersprang. Da lohnte es doch zu sterben, wenn man anschließend solche Wohltaten verüben konnte!
Unterdessen war Sergej beim Spiel ernsthaft auf den Geschmack gekommen. Er sah aus wie ein Hexenmeis ter, während er den Teilnehmern der spiritistischen Sitzung seine Antworten gab, die gemein, grausam und außerdem völlig aus der Luft gegriffen waren. Er ließ alle wissen, dass Mertola sexuell abnorm veranlagt war, dass Polizist Lesonen ein Feigling und außerdem gewalt tätig war, die beiden Frauen titulierte er als dumme Hühner und zu allem Überfluss als Huren. Er kündigte an, dass Lesonens Haus im nächsten Monat abbrennen und dass Mertola noch vorher am Steuer seines Wagens umkommen würde, dann warnte er beide Frauen, sich vor Gebärmutterkrebs in Acht zu nehmen, an dem eine von ihnen über kurz oder lang aber doch sterben würde.
Diese schlimme Verhöhnung lebender Menschen konnte ich nicht gutheißen. Sergej genoss sein infames und selbstsüchtiges Spiel mit der Angst der Menschen. Ich wollte, dass er aufhörte, und ich musste den Geis terleutnant regelrecht anschreien, um ihn aus seiner Zerstörungswut zu wecken. Müde fragte er mich, warum ich mich einmischte. Jetzt sei die Sitzung unterbrochen, und erneut eine solch dichte Stimmung herzustellen könne Stunden dauern.
»Du bist verantwortungslos«, schimpfte ich. »Außer dem hast du deine Antworten frei erfunden, sie haben überhaupt nichts mit der Wirklichkeit zu tun. Warum quälst du diese Menschen eigentlich?«
Er sah mich verwundert an.
»Was haben diese blöden Leute in ihrem Leben an Gu tem bewirkt, sag es mir! Ist es nicht recht und billig, dass ich sie ein wenig in die Enge treibe?«
»Du bist ein Sadist, Sergej.«
»Bist du etwa ein besserer Geist als ich?«, fragte er wütend.
Erregt erzählte ich ihm von meinem Plan, den Lauf der Welt mithilfe von Träumen zu bestimmen. Darauf sagte er nur kalt lächelnd:
»Du bist ein naiver Weltverbesserer. Die Träume der führenden Politiker sind schon an sich ziemlich wirr. Außerdem bringen Tausende von Toten sie noch zusätz lich durcheinander, und zwar mit der Methode, die du jetzt planst. Am Bett eines jeden Staatschefs wachen Horden von Weltverbesserern deines Schlages ganze Nächte durch und versuchen den Schlafenden ihre Lehren einzuimpfen. Daraus wird nicht mal der Teufel schlau, geschweige denn ein lebender Mensch, egal, ob er nun Präsident oder Premierminister, Prinz oder Par teichef ist. Außerdem neigen Politiker dazu, nicht nur ihre Versprechen, sondern auch ihre Träume zu verges-sen. Fändest du einen Politiker, der in der Öffentlichkeit seine Träume erzählt, vertrauenerweckend?«
So also war die Sachlage… Widerwillig musste ich eingestehen, dass Sergej Recht hatte.
Dennoch brannte ich darauf, meine
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