Im Kinderzimmer
dem Plan. Die Schlafzimmertür war geschlossen und Emily schrammte, als sie sich nach dem Türgriff streckte, die mitgeschleppte Puppe am unteren Türrahmen entlang, was Jenny nur verschwommen wahrnahm, bis das Kind neben ihr am Bett stand und Kummer vortäuschte, wo sie doch eigentlich nur spielen wollte, getrieben nicht von Alpträumen, sondern dem Wunsch nach Gesellschaft. Es war ein breites Bett, warum sollten nicht andere noch darin Platz haben? Zwar wußte Jenny, daß sie lieber aufstehen und das Kind in seinem eigenen Bettchen wieder zum Einschlafen bringen sollte, um sich das Leben in Zukunft nicht zu erschweren. Statt dessen ließ sie Emily unter die Bettdecke kriechen und vergewisserte sich, daß die bessere Hälfte, deren Einstel-lung in dieser Frage rigoroser war, nicht gestört und es deshalb bis zum Morgen nicht bemerken würde. Püppi blieb auf dem Fußboden liegen. Während das Kind allmählich einschlummerte, mußte Jenny wieder an das Kratzen an der Tür denken, an die nicht verdaute Ente und die Kätzchen, die zum Fiasko beim Essen geführt hatten. Die Erinnerung und ein begleitendes Sodbrennen erwiesen sich als äu-335
ßerst störend. Sie drückte Emily an sich und nahm sich fest vor, sich morgen darum zu kümmern.
David räumte zu den Klängen der ›1812‹-Ouvertüre, deren trium-phierende Stimmung zu der späten Stunde paßte, systematisch in der Küche auf. Zuerst sammelte er die Gläser ein und spülte sie in Sei-fenlauge, dann noch mal unter laufendem heißem Wasser und stellte sie schließlich zum Trocknen auf Küchenhandtücher. Weder die Gläser noch das Tafelsilber durften der Spülmaschine anvertraut werden, und Katherine würde alles morgen polieren. Das übrige Geschirr spülte er nur kurz ab und räumte es in die Maschine. Die Bishops-Bestecke kamen auf ein Tablett auf den Tisch. Obwohl er leicht verärgert gewesen war über den unguten Ausklang des Abends, hatte sich der Zorn jetzt verflüchtigt, und im ganzen hielt er die Geburtstagsfeier eher für ge- als mißlungen. Er pfiff leise vor sich hin, unstimmig zur Musik, die von einem Crescendo zum nächsten schwoll. Derlei mechanische Arbeiten, präzise ausgeführt, erledigte er ganz gern, sie erlaubten es ihm, seine Konzentration zu bündeln: heißes Wasser ins Becken laufen lassen, Spülmittel für die zweite Ladung Besteck, spülen, klarspülen, senkrecht zum Abtropfen aufrichten wie die Gläser, kein Drumherummogeln um den letzten Glanz. Was ihn von allen Dingen an diesem Abend am stärksten befriedigte, war, wie die Tafel gestrahlt hatte, wie sie beinahe orgia-stische Ahs und Ohs der Bewunderung hervorgerufen hatte. Das hatte David sehr gut gefallen, war für ihn der Ritterschlag seiner bildschönen Besitzstücke, des vollendeten Arrangements. Dinge, die nicht die Bewunderung und den Neid anderer hervorriefen, hatte er nie haben wollen – wo war da der Reiz? Und nach Daddy kam nichts Häßliches, nichts Dickes, nichts Unsicheres mehr in Frage. Bilder von Daddy, der genauso bedächtig aufgeräumt hatte nach jedem seiner Tobsuchtsanfälle, waren längst aus der Erinnerung verbannt.
Als er sich umdrehte und nach dem Besteck griff, bemerkte er aus dem Augenwinkel zufrieden, daß das Tischtuch nicht bekleckert worden war, es war lediglich etwas zerknittert. Mehr noch als vorhin.
Durch Katherines Hand, die eine Ecke des schweren Tuchs in der linken Faust knüllte. Sie selbst war weißer als die Decke. In der anderen Hand hielt sie das Tranchiermesser. Auf leisen, nackten Sohlen 336
hatte sie sich ihm von hinten genähert, die rechte Hand erhoben, das Gesicht starr und entschlossen. Sie trug noch immer Rock und Bluse.
Sie waren zerknautscht, das Goldkollier an ihrem Hals verdreht.
Zwei Schritte, drei Schritte, unbeirrt kam sie näher, das Tischtuch mitschleifend.
»Aber, aber, Schatz, mach keine Dummheiten.«
Besteck fiel klirrend zu Boden, vom Tuch gleitend, das sie nicht loslassen zu können schien.
»Aber, aber…« wiederholte er ruhig, doch sie kam mit unvermin-dert gleichmäßigen Schritten näher. Das Messer klebte vor Enten-schmalz, der Schmutz beleidigte ihn. David wich bis ganz ans Spülbecken zurück, lehnte sich fast hinein, dann ging er das Risiko ein, ihr eine volle Sekunde lang den Rücken zuzudrehen, griff die halb-volle Plastikwanne und warf ihr den Inhalt entgegen.
Die ›1812‹ zerschmetterte im Finale.
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Dank der neuen Hausgenossin lernte Sophie ständig dazu. Mieze bewahrte sie auch vor den
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