Im Kinderzimmer
hatte. Die Pearson Thorpes gingen die paar Schritte nach Hause, Jenny fuhr, die Amerikaner folgten ihr, verloren jedoch den Anschluß und verfuhren sich. Jedes der Paare, nüchtern geblieben und trostbedürftig, schlief auf jeweils andere, typische und doch relativ ähnliche Art miteinander und versuchte während der, je nachdem, wer die Beteiligten waren, fünf bis fünfunddreißig Minuten, das Schaben und Kratzen und das vor Entsetzen starre, mit Erbrochenem verschmierte Gesicht zu vergessen.
Ähnlich – doch mit weit größerer Hingabe beschäftigt – bäumte und bog sich Mary Fox auf dem ausgestreckten, goldenen Körper Clauds, sättigte sich am lange entbehrten Sex ausdauernder als alle Gäste ihrer Schwester zusammengenommen. Schließlich hatten sie eine geschlagene Stunde vergeudet, ehe sie bereit gewesen war, seinen Erklärungen zu glauben und nach einem ausgiebigen Streit das zu akzeptieren, wovon sie eigentlich ziemlich rasch überzeugt war, daß nämlich Katherine überhaupt nicht im Spiel gewesen war.
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Schließlich waren sie im Bett gelandet, es blieb noch Zeit bis halb zwölf am Abend. Claud hatte ihr nicht die ganze Wahrheit gesagt; Claud sagte nicht öfter die ganze Wahrheit, als sie es erwartete – und auch dann nur in Dingen, die nicht von persönlichem Belang waren.
Doch seine halbe Wahrheit war als solche erkennbar gewesen, und das genügte Mary. Die Frau krank, die Kinder krank, Urlaub ver-schoben, sei doch nicht albern, wenn ich mit einer anderen zusammen gewesen wäre, dann doch nicht einer, zu der du solch engen Kontakt hast, du solltest mich besser kennen! Auch wenn man nicht behaupten konnte, daß dem so war, ließ sie sich überzeugen, denn Claud in all seiner Anonymität gab ihr wieder Hoffnung. Vergessen die Langeweile, die Verzweiflung, die sein Fortbleiben ausgelöst hatte, und sie gab sich dem Liebesakt auf die ihr eigene Amazonenart hin. Du hast abgenommen, meine Liebe, hatte er erfreut festgestellt, denn er hatte ein Faible für extrem schlanke Frauen. Sie hörte es gern. Sie liebten sich ein zweitesmal. Sie verausgabten sich so, daß er froh war, nach Hause gehen zu können und Mary – zum erstenmal seit Wochen – froh war, wieder allein zu sein. Sie rauchte sogar ausnahmsweise eine Zigarette, leerte die Flasche Wein, die Claud zur Versöhnung mitgebracht hatte und fühlte sich rundum zufrieden, wohlig und nur ein klitzeklein wenig nachdenklich. Aber das Nachdenken hätte Zeit bis morgen; morgen lag nicht viel Arbeit an. Und so hatte sie es doch auch am liebsten: wenn die Kerle gingen, vorausgesetzt, sie könnte sich darauf verlassen, daß sie wiederkämen.
Die zu Unrecht verdächtigte Schwester drängte sich kurz in ihre Gedanken, verschwand jedoch wieder, als sie ihre Avocado-
Nachtcreme auftrug. All das könnte bis morgen warten.
Katherine schleppte sich ins Badezimmer. Die weitaufgerissenen Augen, die ihr aus dem Spiegel entgegenstarrten, waren die einer Fremden, einer sehr alten Frau. Nicht die Kleinmädchenaugen, die ihr noch am Morgen entgegengeblickt hatten; der Spiegel würde niemals mehr die Gesichtszüge eines kleinen Mädchens reflektieren.
Alles Trug, Geborgenheit eine Illusion. Sie war eine alte Frau, es gab keine Umkehr mehr. Unten war das Kind und war der Mann, der sie beide langsam umbrachte.
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»Aber weshalb hat sie sich bloß so aufgeregt?« Jenny hatte auf der Heimfahrt und auch später noch einmal im Bett das Verhalten der Allendales mit ihrem Mann besprechen wollen. Der erste Versuch hatte nichts gefruchtet, beim zweiten war das Echo stärker, weil er zufrieden und satt war, leider aber auch so müde, daß er nach wenigen Sätzen einschlief. Mitgefühl in dem Maße, wie sie es aufbringen konnte, bildete den Kern von Jennys Familien- und Gemeinschafts-sinn, daneben Fürsorge und gutnachbarlich-freundschaftliche Gefüh-le. Ihr Mann wollte damit nichts zu tun haben, und außerdem, morgen war ein normaler Werktag. Idiotische Idee, eine Essenseinladung an einem Dienstag zu geben. Da konnte man mal wieder sehen, welche Leute nicht regulär arbeiten mußten, sonst säße ihnen doch auch der Mittwoch im Nacken. Jenny kannte derlei Ausweichmanöver, und wie wollte sie auch mit einem Kerl diskutieren, der allem Anschein nach – abgesehen vom regelmäßigen Atem – tot war! Sie nahm zur gleichen Strategie Zuflucht, dachte an den kommenden Tag und die darauffolgenden. Doch kaum war sie im Begriff einzu-schlafen, da erschien Emily, die Jüngste, auf
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