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Im Kinderzimmer

Im Kinderzimmer

Titel: Im Kinderzimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frances Fyfield
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Katherine Ratlosigkeit, gepaart mit Verzweiflung aus. Sie wußte sehr wohl, daß der umkämpfte Schlafanzug, den als Talisman mit an den Früh-stückstisch schleppen zu dürfen Jeanetta verlangte, ehe er seinem Besitzer persönlich überreicht würde, einer von dreien war, ganz zu schweigen von den Spielsachen, die sich Jeanetta auf ähnliche Weise aneignete. Jedenfalls mußte das Kind neue Anziehsachen bekommen, ehe man seine Mutter darauf ansprach, denn in seinen stramm sitzenden Hemden und Hosen und mit den geschorenen Haaren sah es aus wie dem Flüchtlingslager entsprungen – auch wenn schon die überschüssigen Pfunde jeden Verdacht der Not Lügen straften.
    »Nun mach schon.« Es folgte eine tückische Drohung: »Du kriegst keine Cornflakes mehr ab, wenn du dich nicht beeilst.« Jeanetta setzte sich schmollend in Bewegung, demonstrativ langsam zunächst, gab aber die Verschleppungstaktik angesichts der Aussicht aufs Frühstück auf und stürzte sich mit einer Wucht und mit einem Schlachtruf die Treppen hinunter, die Katherine zusammenfahren ließen. Der Handlauf des Treppengeländers war aus Mahagoni, für teures Geld aus einem anderen Haus hertransportiert und auf Hochglanz poliert. Jede Woche beseitigte Katherine sorgfältig die Macken und Kratzer, die Jeanettas stürmische Auf- und Abstiege hinterlie-
    ßen; einmal im Monat mußte der Teppichläufer shampooniert wer-63
    den, um die unübersehbaren Spuren Jeanettas – Schokolade, klebrige Bonbons, Essensreste – zu verwischen. Jeremy war bereits in den Armen seines Vaters heruntergetragen worden, Phantasiewörter brabbelnd. Die dunklen Köpfe zusammengesteckt, erörterten die beiden in ernsten Tönen die Frühstücksfrage, David amüsiert, Jeremy sich aufs Wesentliche beschränkend bei den wenigen Silben, die er tatsächlich kannte.
    »Rangen, Papa?« Damit war Orangensaft gemeint. »Nich gelb, Pa-pa.«
    »Ist der Papa nicht gelb?« zusammen mit seiner Replik schallte Davids vergnügtes Lachen zu den anderen beiden hinauf.
    Vater und Sohn waren in der Küche munter zugange: David, auf Schritt und Tritt gefolgt von seinem kleinen windelbepackten Meß-
    diener, der das Keuchen einer Lokomotive nachahmte, angeregt durch die Geschichte von Dan der Dampflok, die ihm David vorlas, von der er zwar nichts verstand, deren Inhalt er jedoch lautmalerisch umsetzte. Jeremy war groß für sein Alter, er würde vermutlich die eins neunzig seines Vaters erreichen. Die Ähnlichkeit der beiden war verblüffend: der gleiche dunkle Teint, das gleiche dichte, dunkle Haar. Jeremy hatte die Babyspeck-Phase irgendwie übersprungen, die einzige Rundung war die Windel, die er würdevoll mit sich her-umschleppte, während Jeanetta immer einer Buddhastatue geähnelt hatte. Sie hatte auf ihrem Stuhl am riesigen Tisch Platz genommen, mit Hilfe mehrerer Kissen auf die richtige Höhe gebracht, saß sie auf ihrem drallen Po, den Kugelbauch vorgeschoben, die kleinen Schenkel stramm wie Baumstümpfe. Das Kinn verschwand fast in ihrem runden, bis auf zwei gerötete Flecken auf den vollen Backen blassem Mondgesicht. Katherine nutzte die Quasi-Gefangenschaft des Kindes auf seinem Stuhl, um ihm rasch die geschändeten blonden Locken auszukämmen. Anders – solange Jeanetta treten und knuffen konnte und ohne die Erinnerung an die Schmach des gestrigen Abends wachzurufen – war das nicht zu bewerkstelligen. Und doch stieß Katherine die eigene Hilflosigkeit dabei wieder sauer auf. Diesen unbeugsamen Willen, die Kampflust, die sich vom ersten Tag an gezeigt hatte und die ihre Mutter zur Verzweiflung trieb und zur 64
    Erschöpfung, mußte Jeanetta von der väterlichen Seite der Familie geerbt haben.
    »Will Jogut.«
    » Möchte bitte Joghurt.«
    »Bitte, kann ich Jogut ham?« Jeanetta hatte sich durch den täglichen Umgang mit den Harrisons viel von deren Duktus angeeignet.
    Aber sie schien sich dort wohl zu fühlen, und Mrs. Harrison – oder vielleicht Mr.? – brachte ihr wenigstens allmählich Manieren bei.
    Und die Sprache – »mit bitte und danke tun sich alle Kinder schwer«, hatte Mrs. Harrison versichert, als Katherine sich einmal bei ihr für ihre Mühe bedankte, »auch die, die nicht auf den Mund gefallen sind.« Womit sie natürlich meinte, daß Jeanetta vorlaut war.
    Katherine mit ihrem bereitwilligen Schuldgefühl hatte die Bemerkung als versteckte Kritik aufgefaßt, ohne zu bemerken, daß sie nur ein weiterer, vergeblicher Versuch Mrs. Harrisons war, ins Gespräch zu kommen, hatte

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