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Im Kreis des Wolfs

Im Kreis des Wolfs

Titel: Im Kreis des Wolfs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicholas Evans
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sagen, schien es sich dann aber anders zu überlegen.
    »Was ist?«, fragte sie.
    Er schüttelte den Kopf. »Ach, nichts.«
    »Sag schon.«
    »Ich hab einfach nur … na ja, an dem Abend hatte ich das Gefühl, dass da oben noch jemand ist. Ehrlich gesagt, hatte ich das Gefühl schon öfter.«
    »Was meinst du? Wer soll da oben sein?«
    »Keine Ahnung. Jemand eben.«
    Er wechselte das Thema und erzählte ihr, dass er mit Dan Prior geflogen war und fünf Wölfe gesehen hatte, auch die drei mit den Halsbändern, wie sie von einem Hirschkadaver oberhalb der Townsend-Ranch fraßen. Dan hatte gesagt, die anderen drei seien vermutlich auch dort, aber tiefer im Unterholz, so dass es schwierig sein würde, sie zu Gesicht zu bekommen.
    »He, und weißt du was?«
    »Was denn?«
    »Ich habe mich für die Universität von Minnesota beworben.«
    »Hast du? Für den Herbst? Luke, das ist ja phantastisch!«
    Er habe mit Dan darüber gesprochen, als sie zum Büro zurückgefahren seien, erzählte er. Die Universität verfügte über eine Homepage im Internet, und die beiden hatten sich vor Dans Computer gesetzt und eine »virtuelle Tour« über den Campus unternommen. Dann hatten sie die Bewerbungsunterlagen ausgedruckt, ausgefüllt und abgeschickt.Außerdem hatte er schon einen langen Bericht über seine Arbeit mit den Wölfen angefangen, den er ebenfalls einsenden wollte.
    »Dan hat Bekannte im dortigen Institut für Biologie. Bei denen will er ein gutes Wort für mich einlegen.«
    »Aha, er will also seine Verbindungen spielen lassen, stimmt’s?«
    »Genau.«
    Schweigend betrachtete sie ihn eine Weile und dachte, wie schön es doch war, wieder mit ihm zusammen zu sein. Er wandte den Blick von der Straße ab und strahlte sie an.
    »Was grinst du so?«, fragte sie.
    »Ach nichts.«
    »Was ist los? Sag schon.«
    Er zuckte die Achseln und sagte einfach: »Du b-b-bist wieder zu Hause, das ist alles.«
    Sie hatten die Interstate hinter sich gelassen und fuhren westwärts durch die weiße, hügelige Landschaft. Der Himmel war kristallblau. Sie dachte über das nach, was er gerade gesagt hatte. Sie wusste nicht mehr, wo oder was ihr Zuhause war. Wenn das Zuhause der Ort war, wo man hingehörte, dann wusste sie, dass sie in diesem Augenblick hierher zu Luke gehörte und nirgendwo sonst hin. Die leere Straße dehnte sich endlos vor ihnen aus, und in der Ferne sahen sie den Schnee auf den Bergen rosig und golden in der Sonne glitzern.
    »Luke, würdest du mal bitte einen Moment anhalten?«
    »Sicher, warum? Was ist los?«
    »Ich muss noch was erledigen.«
    Er fuhr an den Straßenrand und blieb stehen. Helen löste ihren Sicherheitsgurt, dann seinen und rutschte zu ihm hinüber. Und mit den Händen zog sie sein Gesicht zu sich heran und küsste ihn.
     
    Das neue Jahr begann mit viel Nässe. Drei Wochen lang taute und regnete es, dann fror und schneite es wieder, um gleich darauf erneut zu tauen und zu regnen. Die Waldwege verwandelten sich in Schlammbäche und die Bäche in den unteren Regionen in weite, braune Seen, die von überflüssig gewordenen Zäunen und den die versinkenden Ufer säumenden kahlen, grauen Pappeln geteilt wurden.
    Hope war von Wasser umgeben und schien tagtäglich von einer Katastrophe bedroht, die aber dann doch nie eintrat. Das Hochwasser stoppte unmittelbar unterhalb der ersten Gebäude am unteren Ende der Hauptstraße. Türen wurden mit Sandsäcken verbarrikadiert, während man in den Häusern Teppiche zusammenrollte und wertvolle Dinge nach oben brachte oder auf Schränke legte.
    Alle paar Stunden verließ Mr. Iverson, der selbsternannte Noah der Stadt, seinen Lebensmittelladen und paddelte durch die Fluten, um die Wasserstandsanzeiger unten an der Brücke zu überprüfen. Bei seiner Rückkehr berichtete er mit wohligem Schauer in der Stimme, dass das Wasser weitere drei Zoll gestiegen, zwei Zoll gesunken und dann wiederum sechs Zoll angestiegen sei. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, sagte er dann kopfschüttelnd und ging zurück in seinen Laden – nur noch eine Frage der Zeit.
    Die Stadt war seit zwanzig Jahren nicht mehr überschwemmt worden, und da nach der letzten Überflutung für über zwanzig Millionen Dollar Abflusskanäle gebaut worden waren, würde dies vermutlich auch nie mehr geschehen. Doch war es im Westen Tradition, in Zeiten der Not zusammenzuhalten, und Hope pflegte diese Tradition. Jeden Abend drängten sich in The Last Resort und Nelly’s Diner die Männer, die jeder von einer kleinen

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