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Im Kühlfach nebenan

Titel: Im Kühlfach nebenan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Profijt
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gesprochen?«, fragte
     er in Gedanken zurück. »Konntest du Kontakt zu ihr herstellen?« »Ja, aber erst, als sie tot war.« Martin wurde sichtlich blass.
     »Ist ihre Seele jetzt auch   …«
    »Ist Ihnen nicht gut?«, fragte der Chef. »Doch, äh, sicher«, antwortete Martin. »Kein Problem.«
    »In dem Moment, als sie starb, kam ihre Seele kurz bei Marlene und mir vorbeigeschwirrt, dann ist sie verschwunden.«
    |120| Ich konnte die Anspannung von Martin abfallen sehen. Und wenn ich das sehen konnte, konnte der Chef das auch.
    »Herr Gänsewein   …« »Ich würde gern die Obduktion der Ordensschwester übernehmen, die bei dem Brand ums Leben gekommen ist«, sagte Martin schnell.
     »Aber die ist doch schon weg«, erwiderte der Chef erstaunt.
    Wir überlegten einen Moment, was er meinte, dann hatte Martin verstanden: »Nein, nicht die, die sofort tot war.«
    Der Chef hob die Augenbrauen. »Die Schwester, die schwer verletzt   …«, ergänzte Martin.
    »Aber Herr Gänsewein!«, unterbrach der Chef. »Wir hoffen doch alle noch, dass sie durchkommt!« »Nein«, sagte Martin. »Ich   …« »Sie hoffen das nicht?« Seine Miene zeigte eindeutig Entsetzen.
    »Es ist leider zu spät«, stammelte Martin mit knallrotem Kopf.
    »Sie ist tot?«, fragte der Chef. Martin nickte.
    Der Chef runzelte die Stirn. »Davon weiß ich nichts. Ich habe noch keine Zugangsbenachrichtigung erhalten.« »Sie ist diese
     Nacht gestorben«, murmelte Martin. »Woher wissen Sie das, Herr Gänsewein?« »Äh,   …«
    »Radio«, rief ich. »Radio«, sagte Martin. »Ja, aus dem Radio.« »Und warum sind Sie an dieser Obduktion so interessiert?«
    Auf Martins Stirn zeigten sich kleine Schweißtröpfchen.
    |121| »Weil ich, äh, weil ich lange kein Brandopfer mehr obduziert habe. Ich möchte aber in Übung bleiben.« Der Chef willigte zögernd
     ein. »Frau Zang wird Ihnen assistieren.«
    Ich düste los, um Marlene zu holen, traf sie natürlich in der Klosterkirche beim vermutlich zweitausendsten Ave Maria des
     Tages, und konnte sie nur mit Mühe aus ihrer klösterlichen Höhle und von ihren Gebeten für Marthas Seele loseisen. Ich war
     zwar der Meinung, dass Marthas Seele, die den direkten Weg in den Himmel genommen hatte, keiner Fürsprache mehr bedurfte,
     aber alte Nonnen legen alte Gewohnheiten wohl nicht so schnell ab.
    Wir kamen gerade rechtzeitig zum Beginn der Obduktion zurück.
    Martin stand in seinem grünen Kittelchen an einem der drei Edelstahltische im Schlachthaus, wie ich den Sektionssaal aus offensichtlichen
     Gründen nenne. Komplett gekachelt, mit Abflüssen für Blut und andere Körperflüssigkeiten, Ablageflächen für feine Werkzeuge
     ebenso wie für elektrische Knochensägen und Waagen, auf denen das genaue Gewicht jedes einzelnen Organs bestimmt wurde.
    »Entschuldige, ich musste noch kurz zum Chef«, sagte die Person, die angehetzt kam und unter dem grünen Ganzkörperkondom mit
     Mundschutz kaum zu erkennen war. Aber an der Oberweite und der Stimme erkannte ich sie trotzdem sofort: Katrin. Na, das war
     doch mal eine angenehme Überraschung.
    »Kein Problem«, sagte Martin herzlich. Mir schien, er freute sich geradezu auf die Obduktion. »Kann’s losgehen?«
    »Jawoll.« Katrin nahm das Klemmbrett und las die persönlichen Daten ab. Dann schaltete sie das Diktiergerät ein. »Obduktion
     eines weiblichen Leichnams im Auftrag |122| der Staatsanwaltschaft Köln. Identität wurde festgestellt als Astrid Kammschneider, Alter: 37, Körpergröße   …«
    »Astrid Kammschneider?«, fragte ich Marlene. »Ich denke, sie hieß Martha.« »Martha ist ihr Ordensname«, sagte Marlene. »Und
     du   …«, begann ich, aber sie unterbrach mich. »Ich heiße Marlene.« Sie ließ keinen Zweifel daran aufkommen, dass das Thema für
     sie damit beendet war. Martin begann die Obduktion wie immer mit der Entfernung der Kleidung, in diesem Fall also mit dem
     Abwickeln der Verbände. Was darunter zum Vorschein kam, war, sagen wir mal, unschön. Marlene traf der Anblick hart. Sie begann
     zu weinen. Na super! Mit dem Heulen ist es ähnlich wie mit dem Reiern. Vielen Leuten wird beim Busfahren schlecht, aber alle
     beherrschen sich – bis der Erste sein Frühstück auskotzt. Dann kübeln alle mit. Ich gab mir die größte Mühe, Marlene zu trösten,
     ohne gleich mitzuflennen.
    »Lenchen, kein Grund zum Weinen. Da, wo Martha jetzt ist, braucht sie keine Haut, keine Wimpern und keine Augäpfel mehr.«
    Sie heulte mehr statt weniger.

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