Im Labyrinth der Abwehr
aber ein gesprächiger Fahrgast versuchte, mit ihm eine Unterhaltung zu beginnen, so berief sich Johann höflich auf die einmal festgesetzte Regel. Als er sein erstes Gehalt erhielt, lud er Breuder, Keller und Karl Zimmermann, der in der Garage eine besondere Stellung einnahm, in ein Restaurant zum Essen ein. Johann bemerkte, daß sich unter dem Rock Zimmermanns die Umrisse zweier Pistolen abzeichneten.
Johann glaubte, daß es das beste wäre, wenn er den Gästen einfach vorschlagen würde, nach ihrem eigenen Geschmack zu bestellen.
Zimmermann, der durch sein Benehmen betonte, daß er sich hier als Hauptperson fühlte, erklärte laut, während er einen selbstzufriedenen Blick auf Keller warf:
„Trink nur, brauchst keine Angst vor der Streife zu haben; ich stoße ihnen so Bescheid, daß sie dich wie einen General behandeln." Und er zwinkerte Johann zu.
6
An einem trüben, regnerischen Tag traf Johann zufällig die Baronin, die Platznachbarin Heinrichs aus dem Abteil. Sie sah mitgenommen aus, tiefe Furchen zeichneten ihr Gesicht. Gleich mit dem ersten Wort begann sie Johann ihr Herz auszuschütten. Wahrscheinlich fühlte sie sich hier einsam und war froh, ein bekanntes Gesicht zu sehen. Als sie erfuhr, daß Weiß nicht nur Chauffeur war, sondern gleichsam einen militärischen Rang besaß und sein Chef eine wichtige Persönlichkeit war, faßte sie endgültig Vertrauen zu ihm. Im allgemeinen Geschwätz erzählte sie Weiß von ihren Sorgen. Sie wohnte jetzt auf einem Schloß, das früher einem berühmten polnischen Adelsgeschlecht gehört hatte und ihr als Entschädigung für ihr in Lettland zurückgelassenes Gut vom Generalgouvernement überlassen worden war. Sie vermutete, daß eine Linie der ehemaligen Besitzer in England lebte und sie später belangen könnte. Im Grunde genommen billigte sie die Enteignung der polnischen Aristokraten nicht. Obwohl die Slawen eine minderwertige Rasse waren, sollten die Rassengesetze auf ein so altes Adelsgeschlecht nicht angewandt werden.
Beim Abschied lud die Baronin Weiß aufs Schloß ein.
Nach der kleinen Feier im Restaurant bemerkte Johann, daß sein freundschaftliches Verhalten zu Keller, Breuder und Zimmermann den Umgang mit den anderen Arbeitern der Garage erschwerte.
Wolf Winz, klein, breitschultrig, mit krummem Rücken und zerschlagener Nase, ließ sich lange nicht auf eine offene Unterhaltung ein. Doch eines Abends, als sie beide allein in der Garage waren, fragte er Johann:
„Du bist ein junger und geschickter Bursche, warum arbeitest du eigentlich hier und nicht bei der SS oder bei der Gestapo — da hat so einer wie du doch bessere Aufstiegsmöglichkeiten?"
„Und warum nimmst du sie nicht wahr?" „Ich bin Arbeiter.", „Du bist also zufrieden?"
„Ja", sagte Winz, „ich bin zufrieden."
„Und wo hat man dir die Nase eingeschlagen, auch bei der Arbeit?” „Ja", sagte Winz, „bei der Arbeit. Sie haben nicht aufgepaßt, und dabei ist sie kaputtgegangen."
„Wer sie?"
„Wer kann das schon sein."
„Verstehe", sagte Weiß.
„Was denn?"
„Du bist ein tapferer Kerl."
„Weil ich so rede? Dann hast du noch keine wirklich tapferen Kerle gesehen."
„Mag sein, ich war nicht an der Front", sagte Weiß absichtlich naiv. „Die sind nicht an der Front."
„Wo denn?"
„Bei der Gestapo."
„Ja, das sind harte Burschen", sagte Johann.
Winz lächelte und sagte:
„Du bist wirklich in Ordnung, nicht einer von denen, die vor ihren Kameraden ausspucken."
„Und du bist auch nicht von denen."
„Richtig", pflichtete Winz bei, „genau erraten."
Allmählich überzeugte sich Johann davon, daß je höher die Stellung dieser oder jener Person war, um so geringer ihre Neigung zur Offenheit war. Je bedeutender die Person, um so länger der Rattenschwanz von Agenten.
In diese besondere Schicht, in die Schicht der leitenden Gestapoleute, wollte Weiß eindringen. Anfangs versuchte er es über die Baronin. Er hoffte, sie würde ihn einigen bedeutenden Persönlichkeiten vorstellen und ihm vielleicht die Stelle eines Dieners vermitteln. Doch seine Versuche blieben erfolglos.
Schließlich war es Frau Ditmar, seine Zimmerwirtin, die Johann half, in diese Schicht vorzudringen.
Jedesmal nach Beendigung des Gottesdienstes, wenn er zur Kirche fuhr, sah er Frau Ditmar Arm in Arm mit einer Dame im Fehcape aus dem Portal treten. Er wurde ihr vorgestellt und erfuhr, daß sie, Maria Bucher, eine Jugendfreundin von Frau Ditmar sei und jetzt als Wirtschafterin bei Oberst von
Weitere Kostenlose Bücher