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Im Land der Feuerblume: Roman

Im Land der Feuerblume: Roman

Titel: Im Land der Feuerblume: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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Wissen: dass er Annelie nur aus Mitleid geheiratet hatte, aber nicht, weil er unbedingt einen Sohn wollte. Dass es nichts gab, was ihm fehlte, wo er doch so stolz auf seine Tochter war. Dass er sich insgeheim schämte, so früh nach dem Tod ihrer Mutter wieder geheiratet zu haben.
    Doch nichts davon kam, nur ein zögerliches, unsicheres: »Jetzt weißt du es.«
    Elisa war stehen geblieben und drehte sich langsam zu ihm um. Er hielt seinen Kopf gesenkt. »Ich wollte es dir schon früher sagen. Aber es bot sich keine Gelegenheit. Ich hatte befürchtet, du würdest dir Sorgen machen …«
    Etwa um Annelie?
    Elisa lachte bitter auf – verlachte nicht nur ihn, vor allem sich selbst. Wie naiv musste sie gewesen sein, nicht mit dergleichen zu rechnen! Schließlich war Annelie eine junge und gesunde Frau, wenn auch nicht sonderlich kräftig. Doch Elisa hatte sich nicht gegen das gewappnet, was ihr jetzt nicht als Lauf der Natur erschien, sondern als schlimmste Beleidigung, ja Affront gegen ihre verstorbene Mutter!
    Richard hob zögerlich seinen Kopf. »Annelie fühlt sich nicht wohl. Ich weiß nicht, ob es an dem Kind liegt oder an der unruhigen See. Ich wollte gerade den Schiffsarzt holen, aber … aber es ist wohl besser, dass sie nicht allein bleibt. Tust du es für mich? Bittest du ihn, zu uns zu kommen?« Er hielt inne, schien erst jetzt zu bemerken, dass sie mit den Zähnen knirschte und die Hände aneinanderrieb. »Elisa, was hast du denn?«
    Dass er erst verspätet bemerkte, was sie fühlte, ließ sie endgültig die Fassung verlieren.
    »Mutter ist noch nicht einmal ein Jahr tot!«, brach es aus ihr hervor.
    Er zuckte zurück, nicht nur von den Worten getroffen, sondern auch von ihrer Unbeherrschtheit.
    »Aber Elisa … Das Leben geht weiter, für mich, für dich, für uns alle. Deine Mutter hätte das so gewollt. Und dass wir nach Chile gehen … das war doch auch ihr Entschluss … vor allem ihrer …«
    Ja eben!, wollte Elisa schreien. Und darum sollte jetzt sie auf dem Schiff sein, nicht Annelie! Doch anders als vorhin brachte sie keinen Ton mehr hervor.
    »Hol den Arzt«, wiederholte Richard; er klang nicht streng, eher nörgelnd. »Sie braucht jetzt unsere Unterstützung. Auch deine, Elisa.«
    »Es war nicht meine Entscheidung, dass sie ein Kind bekommt«, entfuhr es ihr. »Soll sie doch …«
    Sie biss sich auf die Lippen, ehe sie den Satz zu Ende brachte; sie wusste nicht, was sie gesagt hätte – wahrscheinlich etwas Bitterböses, Kränkendes, etwas, was sie nicht einfach wieder hätte zurücknehmen können.
    Richard tat, als hätte er ihre Worte nicht gehört. »Jetzt geh!«, sagte er ungeduldig.
    Seine Miene, ansonsten nachdenklich und zögernd, wurde schroff. Sie glaubte die Kälte zu spüren, die von ihm ausging; vielleicht aber war es die eigene, die sich in ihr ausbreitete. Sie biss sich abermals auf die Lippen, um nicht zu weinen, trotzdem konnte sie die Tränen nicht zurückhalten. Kaum hatte sie sich umgedreht, quollen sie ihr aus den Augen. Blind vor Trauer um ihre Mutter, vor Wut auf Annelie und vor Enttäuschung über ihren Vater, lief sie fort.

5. KAPITEL
    E s gab gute Tage, und es gab schlechte, und meist entschied es sich schon am Morgen, welcher bevorstand. Sobald Greta Mielhahn die Augen aufschlug und sich aufrichtete, warf sie einen ersten Blick auf die Miene ihres Vaters und versuchte, darin zu lesen, wie er gelaunt war.
    Sie hatte gelernt, auf sämtliche Kleinigkeiten zu achten. Nichts entging ihr: weder die gerunzelte Stirn noch der verkniffene Mund, weder der Blick, der manchmal starr, manchmal fahrig geriet, noch die Stimmlage, entweder bedrohlich heiser oder vor lauter Schreien kieksend. An guten Tagen war das Gesicht von Lambert Mielhahn eine ausdruckslose Maske; an schlechten waren seine Mundwinkel nach unten gezerrt, und auf seinen Schläfen pochte eine Ader. Ein besonders schlimmes Zeichen war es, wenn er über seinen Bruder sprach. Sobald auch nur dessen Name fiel, duckte sich Greta.
    Seit Beginn der Reise hatte er ihn Gott sei Dank noch nie erwähnt, doch heute fühlte sich der Vater sichtlich unwohl. Sein Gesicht war nicht nur blass, sondern glänzte grünlich; auf seiner Stirn stand Schweiß, und als er morgens den Abort aufgesucht hatte – so verkündete er es eben klagend –, hatte er sich übergeben müssen. Die unruhige See wäre daran schuld, der Kapitän, der das Schiff nicht anständig zu steuern wüsste, vor allem aber Gustav. Nur seinetwegen hätte er

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