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Im Land der Feuerblume: Roman

Im Land der Feuerblume: Roman

Titel: Im Land der Feuerblume: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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könnten. Wo wir endlich eigenes Land kriegen würden. Aber«, wieder machte sie eine Pause. Ihr Sohn, das merkte Elisa erst jetzt, scharrte mit den Füßen. »Aber es ist nicht ungefährlich.«

    Die unerwarteten Gäste hatten sich auf dem Boden niedergelassen; Barbara Glöckner hatte nicht gewartet, bis man ihnen einen der wenigen Holzstümpfe, auf denen man halbwegs bequem sitzen konnte, anbot, sondern hatte ihr dunkles Plaid abgelegt und es unter sich ausgebreitet.
    Im warmen Schein der Kerzen, die sie entzündet hatten, betrachtete Elisa die Tirolerin eingehender. Sie hatte gekräuseltes, rötliches Haar, das die Flammen spiegelte; nicht minder glänzten ihre großen, dunklen Augen über den apfelrunden Wangen und dem herzförmigen Mund. Die Hände waren zwar rauh und gerötet und um Mund und Augen hatten sich Falten eingegraben. Dennoch hatte Elisa das Gefühl, nie eine so schöne Frau mit ähnlich ebenmäßigen Zügen gesehen zu haben. Sie blickte sich um. Waren die anderen ebenso fasziniert von dieser Frau? Oder waren sie längst blind geworden für jede Form der Schönheit?
    In den Gesichtern las sie vor allem Misstrauen. Einzig Annelie trat auf die Fremden zu. »Können … können wir Ihnen etwas zu essen anbieten?«
    Noch ehe Barbara Glöckner zustimmen oder ablehnen konnte, schaltete sich Jule ein. »Wir haben viel zu wenig, um es auch noch teilen zu können«, murrte sie grimmig.
    »Aber wenn sie uns doch helfen wollen«, murmelte Annelie verlegen.
    »Sie wollen uns nicht helfen«, fuhr Jule ihr über den Mund, »sondern eigenes Land. Also, wo soll es das geben?«
    Barbara stützte ihre Ellbogen auf den Knien ab. »Wenn man von Melipulli immer weiter Richtung Norden geht, stößt man auf einen großen See. Er trägt viele Namen. Die Einwanderer aus Deutschland nennen ihn Lago de Valdivia. Die Chilenen nennen ihn Purahila-, Quetrupe-, Pata- oder Llanquihue-See. Wie er auch heißt, er ist riesig, und rundherum gibt es fruchtbares, wenngleich noch völlig verwildertes Land. Vicente Pérez Rosales, der Einwanderungsagent, hat schon vor Jahren vorgeschlagen, es an Siedler zu vergeben. Nach unserer Ankunft sind wir seinerzeit mit anderen Einwanderern dorthin aufgebrochen. Ellwanger und Fritzschuk hießen sie und stammten aus Schwaben – und auch die Familien unserer Tiroler Verwandten gehörten dazu. Im März 1852 haben wir den See erreicht und die ersten Parzellen am Ufer abgesteckt.«
    »Dann hattet ihr also schon eigenes Land?«, fragte Jule, um gleich hinzuzufügen: »Und warum seid ihr nicht dort geblieben?«
    Elisa erwartete, dass auch Taddäus Glöckner, der bis jetzt wie seine Kinder stumm geblieben war, etwas sagen würde, doch offenbar war es in der Familie üblich, dass Barbara für sie alle redete.
    Es ist wie bei uns, ging ihr durch den Kopf. Annelie sprach für Richard, Christine für Jakob, Jule … nun, sie hatte keinen Mann, für den sie sprechen konnte, aber trat herrisch und selbstsicher wie ein solcher auf.
    »Es war sehr hart damals«, fuhr Barbara fort. »Allein der Weg von Melipulli zum See kostete uns sämtliche Kräfte. Das Gelände ist sumpfig wie hier, es gibt keine Wege. Die beiden Töchter einer Familie haben sich im Wald verirrt und sind spurlos verschwunden.«
    Ein Schauder überlief Elisa. Christl und Lenerl Steiner glotzten die Tiroler Familie großäugig an. Nur das Katherl lächelte wie eh und je.
    »Und als wir endlich den See erreichten, gab es dort rein gar nichts. Keine Häuser, keine Felder, kein Saatgut, keine Tiere. Man hat uns in Melipulli nicht darauf vorbereitet. Eine Weile haben wir uns mit unserem Proviant durchgeschlagen, doch der Winter kam früh in diesem Jahr. Einige Familien haben sich entschlossen, dort zu bleiben – ich hingegen habe darauf gedrängt, wieder nach Melipulli zurückzukehren. Meine Tochter«, sie legte ihre Hände auf Theresas Schultern, »meine Tochter war ziemlich krank. Wenigstens bis zum nächsten Frühjahr wollten wir in Melipulli bleiben, um dann wieder an den See zurückzukehren.«
    »Aber das habt ihr nicht getan«, stellte Jule fest.
    »Wie schon gesagt«, sagte Barbara, »zu diesem Zeitpunkt hatten wir bereits viele mühselige Reisen hinter uns. Es ist fünfzehn Jahre her, als wir aus dem Zillertal vertrieben wurden, weil wir Protestanten sind. König Friedrich Wilhelm hat uns am Fuß des Riesengebirges angesiedelt – in Schlesien. Ein neues, leichteres Leben wurde uns versprochen; wir könnten Kühe halten, hieß es, und in

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