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Im Land der gefiederten Schlange

Im Land der gefiederten Schlange

Titel: Im Land der gefiederten Schlange Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: carmen lobato
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Mund verbieten und sein freundliches Angebot annehmen. Wir sehen uns, sobald es möglich ist. Kannst du mir vertrauen und tun, worum ich dich gebeten habe?«
    Katharina fühlte sich jäh so allein wie der letzte Mensch auf der Welt. Sie würde ihn tagelang, vielleicht wochenlang nicht sehen und hatte keine Möglichkeit, in Erfahrung zu bringen, wie es ihm erging. Wie sollte sie die Einsamkeit ertragen, die Leere und die Ungewissheit? Sie war nie ängstlich gewesen, aber die Angst hatte sich in ihr Leben geschlichen und wie mit Tentakeln darin festgesaugt. »Ich habe deinen Sarape vergessen«, rief sie, weil es ihr eben eingefallen war und weil sie unmäßig fror.
    Jetzt küsste er sie doch. »Behalt ihn«, flüsterte er ihr ins Ohr. »Deine Base bekommt von ihrem Ichsager Juwelen, und du bekommst von mir einen alten Fetzen, aber du hast ja gesagt: Katharina Lutenburg bekommt alles, was sie will.« Er berührte mit den Lippen ihre Stirn, drehte sie sachte an den Schultern herum und sandte sie auf ihren Weg.

18
    Benito hatte Katharina belogen. Er musste am Morgen nicht in die Berge, zumindest nicht im Auftrag der Armee. Er belog auch den Besitzer des Mietstalls. Das Tier werde dringend benötigt, beteuerte er, sein Capitán sei in der Eile nicht dazugekommen, Bescheid zu geben. Sein Gesicht war bekannt – inzwischen belieferte er nicht mehr allein die Kompanie seines Bruders, sondern unternahm wöchentliche Ritte. Der Mietstallbesitzer gab ihm das Maultier ohne Federlesens.
    Womöglich würde sein Capitán nichts merken, weil die Welt in Flammen stand und solche Nebensächlichkeiten nicht mehr zählten. Und wenn es doch herauskam, würde es nicht mehr als eine Strafpredigt setzen, die er wie Regenwasser an sich abperlen ließe. Sein Capitán, ein scharfäugiger Kreole und einer der wenigen in Veracruz stationierten Offiziere, die Gespür und Erfahrung besaßen, hielt große Stücke auf ihn. »Lass dich zur kämpfenden Truppe versetzen«, hatte er ihm mehr als einmal geraten, seit er entdeckt hatte, dass Benito mit einer Schusswaffe umgehen konnte. »Offizier werden kannst du auch als Amarantfresser – und du bist doch kein Kerl, der geboren ist, um Straßen zu kehren.«
    Als Benito darauf nicht einging, übte er jedoch keinen Zwang auf ihn aus. »Wenn du weiter für mich den Laufesel spielen willst, soll’s mir recht sein«, sagte er. »Einen, der denken kann, finde ich in diesem Haufen schließlich so schnell nicht wieder.«
    Zudem hatte er Benito ein Geschenk gemacht, eine Perkussionspistole, ein britisches Modell von 1842 , das zwar wie alle in der Armee gebräuchlichen Feuerwaffen nur auf kürzeste Reichweite taugte, aus der Nähe aber ein verlässliches Tötungswerkzeug war. »Wenn du so ein Ding schon abfeuern kannst, sollst du wenigstens eines bei dir tragen«, hatte der Capitán gesagt.
    Benito wusste die Geste zu schätzen. Ein Mann, der einem anderen Mann eine Waffe gab, gestand ihm das Recht zu, sich zur Wehr zu setzen, auch wenn er ihn Amarantfresser schimpfte. Ob er die Waffe im Ernstfall abfeuern konnte, nur weil er gelernt hatte, auf tote Ziele zu schießen, war allerdings eine andere Frage. Er war fünfzehn Jahre alt gewesen, als er beschlossen hatte, schießen zu lernen, um nie wieder der zu sein, der verdroschen und hilflos im Dreck lag. Wie immer, wenn er einen Beschluss fasste, hatte er nicht lockergelassen, bis das Ziel erreicht war. Flüchtig sah er Katharina vor sich, die sich vor ihm brüstete: Katharina Lutenburg bekommt alles, was sie will.
    Benito Alvarez auch, fügte er mit halbem Grinsen hinzu. Fraglich blieb lediglich, ob sie beide mit dem, was sie sich so trotzig erzwangen, am Ende etwas anzufangen wussten.
    Er schob die Gedanken beiseite und zerrte das Maultier am Zügel. Gern hätte er es am Fuß des Bergs zurückgelassen, denn das wenige, das er heute bei sich trug, hätte er allein schleppen können. Aber ohne die Schnelligkeit des Tiers in der Ebene wäre er womöglich zu spät gekommen, und dafür verdiente es nicht, dass er es einem ungewissen Schicksal überließ.
    Zudem verschaffte ihm das Schnaufen des Maultiers den trügerischen Trost, ein Wesen teile seine Angst. Vor zwei Tagen hatte er die Nachricht erhalten, die er seit Monaten gefürchtet hatte. Der Capitán der leichten Kompanie, die er ebenfalls belieferte, hatte sie ihm überbracht. »Wir werden versetzt. Das Regiment wird zusammengezogen. Die Einheit deines Bruders auch.«
    Was nun geschehen würde, wusste

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