Im Land der gefiederten Schlange
schon«, stieß er aus. Nur die zwei Worte. »Morgen schon.«
Der Mann, der also am nächsten Tag in einen Krieg ziehen und Menschen töten sollte, war ein ausgezehrtes Häuflein Elend, das aus hohlen Augen vor sich hin starrte und am ganzen Leib zitterte. Während sie in ihre Felsnische stiegen, wo sie mit Erlaubnis des Capitán beisammensitzen durften, musste Benito ihn stützen. »Sei mir nicht böse«, bat Miguel. »Und erzähl es keinem. Ich bekomme diese Anfälle, es ist, als ob ich Fieber hätte. Es geht aber gleich vorbei, und morgen früh wird es ganz weg sein.«
Du hast Angst, dachte Benito, und laut sagte er, was er unter keinen Umständen hatte sagen wollen: »Ich will dich mitnehmen, Miguel. Zurück in die Stadt. Du kannst daheim unterkriechen, nach dir sucht kein Mensch, und der Mutter ist egal, wo du herkommst, solange sie dich nur wieder bei sich hat.«
Miguel nestelte aus seinem Brustgurt ein Paar lederne Reithandschuhe und streifte sie über die zitternden Hände. Zu den schäbigen Fetzen seiner Uniform nahmen sie sich geradezu kostbar aus. »Sagst du mir wieder, ich soll desertieren?«, fragte er.
»Zum Teufel, das tut doch die halbe Armee.«
»Aber ich nicht«, entgegnete Miguel, setzte sich an der erloschenen Feuerstelle nieder und schlang die Arme um die Knie. »Ich habe noch nie etwas zu Ende gebracht, ich habe noch nie etwas getaugt. Selbst zu meiner Zeit im Freiheitskampf habe ich es nicht weiter als zum Handlanger gebracht.«
Der Nachtwind, der in den Bergen kühl, aber dennoch voll der schweren, welken Süße vom Ende der Blütezeit war, hob Miguel das Haar aus der Stirn und ließ ihn jäh sehr jung erscheinen. Mit allen Kräften kämpfte Benito gegen die Sehnsucht an, ihn in die Arme zu ziehen und ihm zu sagen: Ich liebe dich. Für mich warst du immer mein Held und nie so sehr wie jetzt.
»Ich muss hierbleiben«, fuhr sein Bruder fort. »Ich könnte mich sonst nicht mehr achten.«
Benito nickte und tat, als wäre er ganz in die Arbeit mit dem Feuer vertieft. Die kleine Flamme, die schließlich aufzüngelte, würde nicht wärmen, aber sie schenkte zumindest etwas Licht. Er gab Miguel den Mezcal und sah zu, wie er trank. Als würde er Bilder auf Platten bannen wie jener Mann mit der Kamera, von dem Katharina ihm erzählt hatte. Nur dass er die Bilder in sich selbst bewahrte und niemandem würde zeigen können.
»Weißt du, was ich mir schon mein Leben lang wünsche?«, murmelte Miguel, nachdem er die Flasche abgesetzt hatte. »In die Heimat zu reisen. Verstehst du das?«
Deine Heimat ist eine Vorstadtsiedlung aus Latten und verbeultem Blech, dachte Benito, ohne Antwort zu geben.
»Ich möchte das endlose Grün sehen«, sprach Miguel weiter. »Und die Vögel hören, all die tausend Stimmen. Ich glaube, ich würde dort gern ein Stück Land bestellen, nur eine kleine Milpa, aber eine, von der ich bei jedem Spatenstich wüsste: Das ist meine Erde.«
»Herrgott, warum tust du es dann nicht?«, platzte Benito heraus. »Warum schwatzt du von Spatenstichen und grüner Erde, während du in Wirklichkeit mit einem Gewehr herumfuchtelst, das du nicht zu bedienen verstehst, und demnächst losziehst, um dich von amerikanischen Kartätschen in Stücke fetzen zu lassen?«
Miguel schlug die Augen auf und sah ihn an. Er hätte ihn züchtigen können, als älterer Bruder besaß er dazu das Recht, und zudem war er Soldat in Mexikos glorreicher Armee. Stattdessen zog er einen Handschuh aus und streckte Benito über seine Knie hinweg die Hand hin. Benito schlug ein und spürte, wie die Finger des Bruders sich um seine schlossen. »Es ist diese Wut«, sagte Miguel. »Die schweigende Wut, mit der wir aufgewachsen sind. Ich glaube, ich habe nie gewusst, wo die hingehört, aber irgendwo musste ich sie lassen. Jetzt ist sie weg. Wenn es gutgeht, Benito, wenn ich den Kartätschen der Gringos entwische – gehst du dann mit mir nach Querétaro? Du und ich und Carmen und Inez? Wir fangen von vorn an. So wie wir angefangen hätten, wenn das Land uns gehört hätte und all diese Dinge nicht geschehen wären. Meinst du, das könnten wir tun?«
»Ja«, sagte Benito und fragte sich keinen Herzschlag lang, ob er log. »Jetzt leg dich schlafen. Wenn ihr schon keine brauchbaren Waffen habt, solltet ihr wenigstens ausgeruht sein.«
»Und was ist mit dir? Schläfst du nicht?«
Benito schüttelte den Kopf. »Ich will heute Nacht noch zurück in die Stadt.« Den Weg im Dunkeln zu wagen war geradezu
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